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Er war ein Mann Gottes

Er war ein Mann Gottes

Titel: Er war ein Mann Gottes
Autoren: Karin Jäckel
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verlassen. Im Gegenteil, es war meine allergrößte Angst, ihn wegen irgendeines Fehlers zu verlieren.

    Ahnte Max, wie verunsichert ich ihm gegenüber war? Er hatte eine gut geschulte Gabe, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Manchmal hatte er mir Zellenmitbewohner aus dem Gefängnis beschrieben. Daher wusste ich, wie genau er beobachtete und analysierte. Meine Persönlichkeit lag ganz zweifellos wie ein offenes Buch vor ihm.
    Ob er seine nach und nach immer deutlicher herausgekehrte Unzufriedenheit mit mir bewusst einsetzte, um mir für die Zeit nach unserer Trennung den Schwarzen Peter zuzuschieben? Im Gegensatz zu mir wusste er ja, dass es für uns keine gemeinsame Zukunft geben würde.
    Ob Berechnung oder nicht, Max hatte dauernd etwas an mir auszusetzen. So gefiel ihm zum Beispiel meine Art zu essen nicht. Die Gabel hielt ich falsch. Das Messer packte ich an wie ein Metzger. Das Gemüse picke man nicht mit den Gabelzinken. Das Messer nehme einen bestimmten Winkel zum Handgelenk ein. Beim Trinken schlucke man nicht hörbar. Beim Kauen achte man auf die eigenen inneren Mundhöhlengeräusche, die für das Gegenüber nicht hörbar sein dürften.
    Auch mein Rauchen ging ihm plötzlich auf die Nerven. Seit meiner frühesten Jugend wusste er, dass ich rauchte. Es hatte ihn während der Haftzeit nie gestört, dass meine Briefe nicht bloß nach Parfum dufteten, mit dem ich sie für ihn einsprühte, um damit einen Hauch von mir in seine Zelle zu tragen. Sie rochen auch nach Rauch. Obwohl ich nie in meiner Wohnung rauchte, sondern penibel darauf achtete, vor die Tür oder auf den Balkon zu gehen, wenn mich die Nikotinsucht überkam, blieb es nicht aus, dass Rauchspuren sich an mir festsetzten. Meine Haut übertrug sie auf das Briefpapier. So kamen sie zu Max.
    Auf einmal behauptete er, Asthma-Attacken wegen meines Rauchens zu bekommen. Auf einmal ekelte es ihn, dass mein Atem nach Zigaretten roch. »Küssen? So? Nein. Keine Chance.«
    Ich putzte meine Zähne wie wild, reinigte meine Zunge bis zu den Mandeln mit Zahnpasta, obwohl mir dabei so schlecht wurde, dass ich ins Klo hätte »brüllen« mögen. Ständig nagte ich auf einem Kaugummi herum und reduzierte die Kippenmenge auf weniger als die Hälfte meines Normalkonsums. Max reichte es nicht. Wenn er sich wirklich zu einem Kuss herabließ, hätte ich ebenso gut eine Marmorbüste umarmen können.
    Eigentlich hätte mich das alles schon gar nicht mehr schockieren dürfen, denn die Katastrophe in einer jeden Liebesbeziehung hatte sich in unserer zweiten oder dritten Nacht ereignet, als Max sich am Ende aller Zärtlichkeiten, Liebkosungen und der glücklichen Erfüllung auf den Rücken drehte und meinte: »Also, wirklich, das kann’s ja wohl nicht sein. Ich muss das wohl doch mal mit einem Mann probieren.«
    Eiswasser in meine Seele war das. Demütigung, für die ich bis heute kein Maß habe. Nichts konnte ich darauf erwidern. Der Hals war wie zugeschnürt. Ich öffnete ein paar Mal den Mund, doch kein Ton kam heraus. Nicht einmal Tränen hatte ich.
    Max schien nichts zu merken. Er rollte sich einfach auf die Seite und schlief über meinem fassungslosen Schweigen behaglich ein und fand leise schnarchend seine Ruhe.
    »Es ist doch schön, wenn er mir so sehr vertraut, dass er ganz offen und ehrlich zu mir sein kann«, dachte ich irgendwann und schob mein Kopfkissen so nahe wie möglich an Max heran, ohne ihn zu berühren. »Warum bist du auch nicht zarter mit ihm, langsamer, abwartender, weniger leidenschaftlich, weniger hitzig, weniger fordernd, weniger bereit? Warum willst du nach stundenlangem Streicheln irgendwann mehr? Wieso vergisst du immer wieder, dass seine große Glückseligkeit im Verzicht lag und nicht im kleinen Glück des Gewährens? Ändere dich und du änderst alles. Also! Jetzt hast du so lange auf ihn gewartet und Geduld gehabt und durchgehalten. Jetzt stehst du das auch noch mit ihm durch.«
    Die Fenster unseres Apartements gingen zur Seeseite hinaus. Soeben stieg die Morgensonne auf. »Das wird schon«, tröstete ich mich nochmals und spürte erleichtert, wie ich endlich schläfrig wurde. »Beruhige dich, Cora. Es wird alles gut.«

    Max empfing mich mit dem kalten, abweisenden Gesicht am Frühstückstisch, das er immer aufzusetzen pflegte, wenn er sich missachtet fühlte. Siedend heiß fiel mir ein, dass ich ihm am Vorabend versprochen hatte, zeitig aufzustehen und mit ihm einige Runden im Pool zu ziehen. Müde wie ich von meiner nächtlichen
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