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Er war ein Mann Gottes

Er war ein Mann Gottes

Titel: Er war ein Mann Gottes
Autoren: Karin Jäckel
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geliebt zu werden, dass er sie zu Priestern berufen hätte. Als sie erkannten, dass sie sich geirrt hatten und nicht dazu berufen waren, um des Himmelreiches willen auf Sex zu verzichten, waren beide zu feige, sich mit ihren sexuellen Bedürfnissen einem gleichberechtigten erwachsenen Menschen zu nähern. Vor allem aber waren sie zu eitel und zu machtgierig, ihr Amt und die damit verbundenen Vorteile aufzugeben.
    Das einzige Bedauern von Max und die einzige Angst von Frederic galt dem Verlust des eigenen Ansehens und der Karriere in der Kirche. Doch als klar war, dass die Kirche sie nicht im Stich lassen würde, war auch dieses Bedauern verschwunden. Für Frederic bedeutete die schweigende Gnade der Kirche eine eigene Pfarrei. Für Max ergab sich ein Führungsposten in einer kirchlichen Beratungsstelle. Beide Männer hatten sich gegen die »Kindlein« versündigt, die Jesus zu sich kommen ließ. Jesus hatte jedem, der sich gegen sie versündigen würde, angedroht, er solle mit einem Mühlstein um den Hals im Wasser versenkt werden. Die Kirche jedoch verzieh ihnen ohne großes Aufhebens.

    Frederic ist ein Mann Gottes geblieben, der bis heute sein Kirchenamt als Pfarrer ausübt und vielleicht immer noch kleine Mädchen zu sich auf sein Zimmer einlädt, deren Wahrheit über das, was er mit ihnen macht, nicht seine Wahrheit ist. Manchmal treffe ich Bekannte, die mir von ihm berichten. Gelegentlich lese ich etwas über ihn in der Zeitung. Wie in meinem Heimatort ist er auch in seinem jetzigen Wirkungskreis angesehen, beliebt und bewundert. Seine Predigten seien einmalig, heißt es. Und er habe ein Händchen für die Jugend.
    Ich habe sein Händchen zu spüren bekommen und werde wohl immer Angst haben, Frederic eines Tages irgendwo zufällig zu begegnen. Ich weiß, dass ich es nicht aushalten könnte, wenn er mir ins Gesicht lügen würde, dass da nie etwas zwischen uns war und nur meine Schlechtigkeit aus seiner wahren Freundschaft etwas Gemeines gemacht hätte. Ich habe oft zwischen Leben und Tod gestanden und mir gewünscht, abends einfach einzuschlafen und nie mehr aufzuwachen. Wenn ich Frederic treffen würde, könnte ich für mich nicht garantieren. Seine Worte bedeuteten mir als Kind das Leben. Ich habe Angst, dass sie mir nun den Tod bringen würden.

    Max lebt mit seiner einstigen Ausgangsbegleiterin zusammen. Ob er die Kinder hat, die er sich während der Haftzeit wünschte, weiß ich nicht. Ich hoffe, dass sie nie geboren wurden. Einen Vater zu haben, der wegen sexuellen Missbrauchs zu langen Haftjahren verurteilt wurde, ist eine schwere Last für Kinder.
    Zumindest amtierender Priester ist Max nicht mehr. Er ist mit dem Segen der Kirche in den Laienstand zurückgekehrt. Beruflich hat er es in der kirchlichen Beratungsstelle, in der er bereits als Freigänger-Häftling arbeitete, zu einem bedeutenden Mann gebracht, der oftmals im Rampenlicht der Presse steht. Zwar hat er mit den Jahren eine Glatze bekommen, aber sein Foto auf der Internetseite seines Arbeitgebers sieht immer noch gut aus. Lange Zeit habe ich es mit Wehmut betrachtet und bedauert, dass kein Paar aus uns wurde.
    Mit diesem Buch kann ich endlich einen Schlussstrich unter unsere gemeinsame Zeit ziehen. Ich habe Max gesehen, wie er ist. Meine Liebe ist verflogen. Es ist gut, dass wir nicht zusammenkamen und kein Kind miteinander haben. Ich könnte Max als Vater niemals trauen.

    Mit meinem Schicksal als Missbrauchsopfer lebe ich mal mehr, mal weniger gut. Ich habe mich nicht zur Männerhasserin entwickelt. Der Slogan bestimmter Betroffenenvereine, dass kleine Jungen »mit Tatwaffe geboren werden«, ist in meinen Augen eine Art Kindesmissbrauch. Ich halte auch nichts davon, Mädchen stark zu machen und Jungen vorzuführen, wie schwach sie sind. Es genügt, Kinder lieb zu haben, sie als Persönlichkeiten zu respektieren und sich ihnen aufmerksam zuzuwenden, um sie zu fördern und das Gute in ihnen zu wecken und lebendigzuerhalten.

    Wie für die meisten Kindesmissbrauchsopfer ist für mich das Bewusstsein, dass Liebe aus seelischer Zärtlichkeit, aber auch aus körperlicher Wollust besteht, zerstörerisch. Wir alle haben gelernt, dass unsere körperliche Lustreaktion in der Missbrauchssituation der Beweis für unsere Mittäterschaft sei. Es habe uns ja Spaß gemacht, heißt es. Wir wollten das, brauchten das, hätten nur bekommen, wonach wir verlangten. Schließlich bekomme man keinen Orgasmus, wenn es nicht schön gewesen sei. So wird aus einem
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