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Er war ein Mann Gottes

Er war ein Mann Gottes

Titel: Er war ein Mann Gottes
Autoren: Karin Jäckel
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verkniffen hatte.
    Möglicherweise traute er mir zu, dass ich nicht bloß von meiner Beziehung zu einem Priester gesprochen, sondern seinen Namen genannt und über seine Vergangenheit als Kindesmissbraucher geredet hätte. Damit hätte ich seine in der Kirche absichtlich verschwiegene Sünde in Umlauf gebracht und die intensive Unterstützung gefährdet, die die Obrigkeit ihm zuteil werden ließ.
    Eine der klerikalen Bedingungen zur Unterstützung für Priester, die laisiert werden und in einem weltlichen Beruf neu beginnen oder gar heiraten wollen, ist, dass sie weit weg von ihrer früheren Heimat ein neues Leben beginnen und niemand etwas über ihr früheres Priesterleben erfährt.
    Ähnliche Bedingungen knüpfte die Kirche auch an einen Neuanfang für Max. In einem seiner letzten Haftbriefe hatte Max mir geschrieben, er sei jetzt so richtig auf den Geschmack der Freiheit gekommen. Schon immer sei Zeit für ihn die kostbarste, einmalige, unwiederbringlichste Sache der Welt gewesen. Seit der Haft und der dort verlorenen Zeit überlege er es sich doppelt gut, was er mit seiner Zeit anfange und lasse sie sich nicht von irgendjemandem mit irgendetwas Nebensächlichem rauben.
    Diese Lektion hatte ich vergessen, als ich Maxens kostbare Freiheit und Freizeit mit meinen Nebensächlichkeiten wie diesem Klosterbesuch bei Schwester Reintraudis und ihrem rätselhaften Mischorden belastete.

Tunesien

    Trotz unserer kleinen Differenzen brachen Max und ich eines Morgens tatsächlich zu unserer Traumreise nach Tunesien auf. Ich weiß nicht, ob Max sich mit denselben freudig erregten Erwartungen wie ich auf diesen Urlaub einließ. Rückschauend nehme ich an, dass er mehr Angst vor der eigenen Courage hatte, als dass echte Vorfreude hätte aufkommen können. Für mich aber war klar, dass wir in diesen Urlaubstagen uns ganz und gar aufeinander einlassen und als das glücklichste Paar aller Zeiten nach Hause zurückkehren würden.
    Nie werde ich unseren ersten Abend am Meer vergessen. Arm in Arm in den Sonnenuntergang versunken, küssten wir einander voller Zärtlichkeit, ließen uns vom leisen Wellenrauschen verzaubern und mit dem Wind alle Sorgen, Ängste, Nöte, alles Belastende davonwehen. Ich glaube, niemals im Leben war ich vollkommener glücklich als in diesen romantischen Minuten.
    »Das von heute an jeden Abend!« Mit diesem Gedanken schlenderte ich Hand in Hand mit Max zum Hotel zurück und hätte jedes Sandkorn in unseren Fußspuren streicheln mögen.
    Doch schon am nächsten Abend hatte Max keine Lust mehr auf Strandromantik. Launisch die Unterlippe vorgeschoben hing er in einem der Sessel unseres schönen Apartements und nuschelte schulterzuckend: »Ach was, ich hab jetzt keine Lust, schon wieder runter an den Strand zu latschen. Den ganzen Tag Wasser, Wind und Wellen, und jetzt schon wieder? Nein, danke. Ich bin kaputt. Ich muss endlich mal wieder schlafen. Richtig schlafen, wenn du verstehst, was ich meine. Ich geh allmählich schon auf dem Zahnfleisch.«
    Ich hatte verstanden. Seine Worte verletzten mich.
    Er schien es nicht zu bemerken. »Geh halt allein, wenn du willst.«
    Geschockt zog ich tatsächlich ohne Max los. Der Sand schien schwerer an meinen Füßen zu haften als am Tag zuvor, doch das Meer lag noch immer wie ein samtblauer Teppich vor mir. Weiße Schiffe schaukelten draußen mit der Dünung. Die »Märchen von Tausend und einer Nacht«, in denen ein fliegender Teppich vorkam, mussten vor diesem Meeresblau entstanden sein, dachte ich und stellte mir träumerisch vor, wie es wohl wäre, mit Max auf einem solchen Teppich zu reisen.
    Das Meer leckte indessen mit leisen, zärtlichen Kicherwellen an meinen nackten Zehen, umspülte einen nach dem anderen, bis meine Ballen und Fersen in den nassen Sand einsanken und das Wasser leichtes Spiel bis hinauf zu den Knöcheln hatte. Ein paar Möwen segelten im Tiefflug vorbei. Sie wendeten die Köpfe, während sie nach Fressbarem Ausschau hielten, und legten sich wie Motorradfahrer der Lüfte in die Kurven. Für meinen nächsten Abendbesuch nahm ich mir vor, ein tüchtiges Stück Brot zum Füttern mitzubringen. Für diesmal mussten die Muschelschalen genügen, die ich zwischen den nassen, wie Lack glänzenden Kiessteinchen auflas und den kreischenden Möwen zuwarf, die noch im Anflug erkannten, dass die Beute nicht lohnte.
    »Was nur mit Max los war?«, grübelte ich und wanderte langsam am Wassersaum entlang, der sich endlos vor mir zu erstrecken schien. Wenn ich
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