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Er war ein Mann Gottes

Er war ein Mann Gottes

Titel: Er war ein Mann Gottes
Autoren: Karin Jäckel
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seiner, in unserer Kirche aufzudecken. Schließlich waren wir beide Opfer dieser Falschheit und Verlogenheit der Kirche und ihres Zölibatgesetzes.
    Max war dadurch in die sexuelle Auswegslosigkeit und letztendlich zum Kindesmissbrauch getrieben geworden. Mich hatte der Zölibat zum Opfer gemacht. Sowohl er als auch ich würden unser Leben lang mit dieser furchtbaren Vergangenheit fertig werden müssen. Die Kirchenobrigkeit als wahre Schuldige wusch ihre Hände in Unschuld und ließ es geschehen, dass immer mehr Priester und Kinder in ihr Verderben liefen.
    Schon sah ich Max und mich gemeinsam dieses Kloster als klerikales Geheimversteck für Priester- und Nonnenkinder entlarven. Wir beide, Max und ich, er Täter, ich Opfer, würden es schaffen. Von zwei verschiedenen Seiten würden wir den Zölibat als Wurzel all unseres Leidens in die Zange nehmen und endlich zu Fall bringen. Hatte je zuvor ein von einem Priester sexuell missbrauchtes Kind als Erwachsene mit einem Priester als Liebespaar zusammengelebt, der andere Kinder sexuell missbraucht hatte? Wer, wenn nicht wir, wusste, welches Leid das Beharren des Klerus auf dem Zölibatsgesetz verursachte?

    Max hatte mir einmal geschrieben, er sei überzeugt, jeder Mensch, sei er noch so jung, habe eine geheime Bestimmung, für die und aus der heraus er lebe und die niemals von einem anderen entdeckt werden könne. Für ihn gehöre zu diesem »heiligen Gral« der Schatz aller Gefühle sowie Hoffnung, Vertrauen und Leid.
    Ein Schauer überlief mich, als seine Worte mir ausgerechnet in diesem Zusammenhang einfielen. Bestand unsere Bestimmung darin, sexuell missbraucht zu werden beziehungsweise sexuell zu missbrauchen, um aus dieser Erfahrung die Kraft zu gewinnen, wirksam gegen die unheiligen Geheimnisse unserer Kirche vorzugehen?
    Das Gefühl der Demut stieg in mir auf, und ich war zuversichtlich und froh. Max und ich, wir könnten es schaffen. »Gemeinsam«, begann es leise und verhalten in mir zu jubeln, »sind wir stark.«

    Wie es in dieser Ordensgemeinschaft üblich war, wurde ich als Klostergast sogleich in die alltäglichen Verrichtungen der Nonnen eingebunden. Die ungewohnte und anstrengende Arbeit fiel mir schwer, so dass mir das Grübeln rasch verging. Doch ich biss die Zähne zusammen, gab mir Mühe, allen möglichst alles recht zu machen, und hielt durch. Am Abend war ich rechtschaffen müde und glücklich, mit Schwester Reintraudis bei einem köstlichen Glas hausgebrautem Bier zu sitzen und die Beine im Klostergarten ausstrecken zu dürfen.
    Nachdenklich musterte ich die Ordensbelegschaft. Alle Frauen trugen zwar eine einheitliche Kutte, aber keinen Nonnenschleier. Stattdessen waren sie alle nach dem gleichen Muster frisiert, das ich auf Fotos der Ordensgründerin gesehen hatte. Galt etwa deren feste, altmodische Dauerwellenfrisur als eine Art Schleierersatz?
    Obwohl mich die Freundlichkeit beeindruckte, die mir von allen Seiten entgegengebracht wurde, waren mir dieses Kloster und seine seltsame Ordensgemeinschaft mit Kindern unheimlich. Ich ersehnte meine Rückreise und konnte das Abschiedsgespräch mit dem Abt nicht schnell genug hinter mich bringen, der mir nochmals beteuerte, wie herzlich willkommen Max und ich bei ihnen wären.

    Wieder zu Hause erlebte ich sofort ein heiß-kaltes Wechselbad. Max hatte zwar bemerkt, dass ich nicht mehr da war, und sich Sorgen um mich gemacht. Doch als er von meinem Klosterabenteuer und dem Angebot für unser dortiges Zusammenleben erfuhr, regte er sich so furchtbar auf, dass ich es nicht einmal wagte, ihm jedes Detail zu schildern, geschweige denn, ihn nach den Priesterkindern zu fragen und für unsere »heilige Bestimmung« zu erwärmen.
    Stattdessen schämte ich mich, weil ich annahm, er sei so wütend geworden, weil ich, eine nicht von Gott Berufene, mich erdreistet hatte, ein Leben mit ihm als Nonne und Mönch in einem irgendwie völlig verkehrten Kloster bloß in Erwägung zu ziehen. Kleinlaut entschuldigte ich mich für meinen Frevel und bat Max herzlich um Verzeihung, doch es dauerte einige Zeit, bis er sich dazu durchringen konnte.

    Sein Ärger war hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass ich versucht hatte, mit meinem klösterlichen Alleingang Einfluss auf seine persönliche Entscheidungsfindung zu nehmen. Ich hatte mir angemaßt, eine Idee für unsere gemeinsame Zukunft zu entwickeln, obwohl Max weiter nichts wollte, als in vollen Zügen seine Freiheit zu genießen und alles nachzuholen, was er sich bisher
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