Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Equinox

Equinox

Titel: Equinox
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
Schiff, fahren rüber zu der Arctic Explorer und verständigen von da aus die Behörden.«
    Gazella nickte und klatschte sich die Ledersocke entschlossen in die freie Handfläche.
    »Dann los«, brummte sie.
    »Ah, und denk an eine Signalpistole und Munition.«
    Irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, dass die Besatzung einer in hundert Meter Höhe über den Wellen thronenden Bohrinsel durch Rufen und Winken auf Besuch durch ein Schlauchboot aufmerksam zu machen wäre.
    »Und was tust du?«, fragte sie, schon im Gehen begriffen.
    Ich sah noch mal auf meine Uhr und ignorierte die Frage. »Wenn ich in zwanzig Minuten nicht unten bin«, sagte ich, »fahrt ohne mich.«
    Damit drehte ich mich um und rannte die Stufen hinab zum B-Deck, in Richtung der Krankenstation. Entweder hatte ich Elena in zwanzig Minuten gefunden, befreit und mitgenommen, oder ich würde an Bord bleiben. Basta.
     
    Köthensieker trug Gummistiefel, eine gelbe Ölzeug-Hose und darüber einen groben Strickpulli mit Rollkragen. Jetzt noch die Pfeife in den Mundwinkel geklemmt und er hätte ausgesehen wie ein Werbeonkel für irgendwas Nordisches, Rum etwa, oder Halspastillen oder eingelegte Heringe. Leider ging das mit der Pfeife im Moment nicht, weil er so ins Telefon schreien musste. Leider oder Gott sei Dank. Der Vorteil war, dass er wegen seiner Schreierei nicht mitgekriegt hatte, dass ich zur Tür reingekommen war und nun direkt hinter ihm stand. Wir waren allein, und ich konnte nur hoffen, dass das noch ein paar Minütchen so bleiben würde.
    Ich verstand nicht alles, was er da in einer Mischung aus Englisch und Japanisch in den Hörer raunzte, doch immerhin genug, um zu begreifen, dass der Kontakt zur Noatsu Maru dabei war, abzureißen, dass es noch dauern würde, bis die Geschwindigkeit der Equinox wieder zu drosseln wäre, und dass er, Köthensieker, Koffer gepackt und alles, mit dieser Entwicklung der Dinge sehr unzufrieden war. Ich ließ ihn ordentlich Dampf ablassen und den Hörer auflegen, bevor ich ihm in die Kniekehlen flankte, ihn herumriss und bäuchlings auf eine Behandlungsliege stieß, zwischen meine Schulterblätter griff und ihm den Eispickel mitten hinein ins Red-Cobra-Tattoo drückte, bis sich ein kleiner Ring von Blut bildete.
    »Wo ist Elena?«, fragte ich, und er lag sehr still. Keine schöne Stelle, die ich da erwischt hatte, genau zwischen zwei Wirbeln.
    »Kryszinski, Sie erhalten von mir jede gewünschte Auskunft, aber nehmen Sie dieses Ding aus meiner Halswirbelsäule.«
    »Wo ist sie?«, fragte ich noch mal, und er rührte sich immer noch nicht, genauso wenig wie ich.
    »Okay. Der Treppenabgang zum Maschinenhaus?«, fragte er, und ich nickte. »Unten. Wo wir Wassilijs Leiche gefunden haben?« Wieder nickte ich. »Drei Schotts. Eins nach Backbord, eins nach Steuerbord, eins Richtung Bug.« Ich nickte. »Hinter dem Schott Richtung Bug kommt ein kurzer Gang, an der Stirnseite eine unbeschriftete Tür. Hinter der Tür finden Sie Ihre Elena.«
    Ich richtete mich auf. Verstaute den Eispickel wieder in seinem Futteral.
    Köthensieker wälzte sich herum, setzte sich.
    »Was finde ich noch, hinter dieser Tür?«, fragte ich.
    Er lachte trocken. »Die exklusivste Kabine des ganzen Schiffes«, meinte er. »Carlas Liebesnest.« Vorsichtig betastete er sein Genick. Betrachtete kurz das Blut an seinen Fingern und schwang sich dann auf die Beine, griff nach einem Wattebausch, besprühte ihn mit etwas.
    »Sie sind ein zäher Knochen, Kryszinski«, knurrte er und drehte sich wieder zu mir, tupfte mit der Linken an seinem Nacken herum. »Hätte ich früher erkennen müssen. Da wäre vielleicht noch eine Chance gewesen, Sie auf unsere Seite zu ziehen. Schade, doch dazu ist es jetzt zu spät.«
    Und er griff mit der freien Hand in den Gummibund seiner gelben Hose, riss einen dicken, kurzläufigen Revolver heraus, rammte mir die Mündung in die Brust und drückte augenblicklich ab.
    Der verbrannte Kordit ließ mir die Augen tränen, der Knall sollte noch für Stunden in meinen Ohren singen.
    Kleinere Beschwerden, verglichen mit denen Köthensiekers.
    Das Geschoss war ihm in die Nase eingedrungen und durchs Schädeldach ausgetreten, begleitet vom hässlichen schwirrenden Pfeifen des Querschlägers.
    Es war nur schwer zu sagen, wer von uns beiden überraschter war von dieser Wendung.
    Köthensiekers linkes Auge schielte zuckend und offenbar außer Kontrolle nach seiner blutig gerissenen Nasenspitze, doch das andere sah mich unverwandt an,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher