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Equinox

Equinox

Titel: Equinox
Autoren: Jörg Juretzka
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ungläubig, konnte sich nicht losreißen von meinem Anblick, von mir, dem Letzten, was es jemals sehen würde, und dann klapperte der Revolver zu Boden, als die Ohnmacht des Sterbens die Muskulatur entspannte, und Köthensieker ging mit einer Schonungs-, einer Bedenkenlosigkeit zu Boden, wie sie kein Schauspieler, ja noch nicht einmal ein Stuntman je zustande bringen wird. Er sackte einfach zusammen und schlug mit grässlich anzusehender und auch anzuhörender Heftigkeit lang hin und mit Kopf und Kiefer und Gebiss auf die Kacheln, wie es nur jemand kann, der nichts mehr spürt und den nichts mehr interessiert.
    Ich zippte den Reißverschluss meines Overalls auf, holte sie ans Licht.
    Okay, diesmal, dieses eine Mal wusste ich, woher ich sie hatte.
    Die Wucht des großkalibrigen Geschosses hatte mir einen ringförmigen Bluterguss in Brust und Bauch geknufft, doch mein Mitbringsel aus der Küche der Mannschaftsmesse, die gusseiserne Bratpfanne, war bis auf eine daumendicke Delle unbeschädigt geblieben.
     
    »Warum willst du nicht mit mir kommen?«, fragte Carla. Es war ihre Stimme, kein Vertun. Honig auf Rasierklinge, wenn ich sie beschreiben müsste. »Ich werde dich hemmungslos verwöhnen, glaub mir. Wir werden alles teilen, alles, was ich habe.«
    Die ganze Antwort bestand, wenn mich mein an die Tür gepresstes Ohr nicht trog, aus einem Schniefen, wie Schnupfen es produziert, oder Tränenfluss.
    »Ich will dich verhätscheln«, schnurrte Carla, »ich will dich hoffnungslos verderben.«
    Das Schloss hatte einen Drehknauf. Also drehte ich ihn, unendlich vorsichtig, drehte ihn bis zum Anschlag. Lehnte mich erst sachte, dann fester gegen das Türblatt. Es rührte sich nicht. Abgeschlossen. Surprise, surprise.
    »Lass das!« Elena, tränenerstickt, halb wütend, halb flehend.
    »Ich würde ja, wenn ich könnte.« Carla gurrte jetzt regelrecht, wie eine Taube bei der Balz. Meine Finger führten inzwischen den Generalschlüssel Richtung Schloss, wobei die zitternde schlüsselführende Hand gestützt wurde von der anderen, die es, wenn möglich, noch schlimmer schüttelte.
    »Du bist so schön«, hauchte Carla, kaum noch zu vernehmen, trotz eines auf Papierstärke platt gedrückten Ohres. »Merkst du nicht, dass ich dich liebe, du dummes, kleines Ding? Warum, glaubst du, hast du immer noch deinen hübschen Kopf auf deinem ranken Hals, wo der mächtige Masimoto-San es doch ganz anders befohlen hat, hmm? Ich bin dir verfallen, mein Schatz, ich muss dich haben, es geht nicht anders. Du bist wie ich, genau wie ich, nur so viel weicher, so viel… besser als die böse, böse Carla.«
    »Das ist keine Liebe«, schimpfte Elena, unter Schluchzen, »das ist Narzissmus! Das ist ekelhaft!«
    Leise, Zahn für unmerklich klickenden Zahn, führte ich den Schlüssel ein. Schweiß ätzte sich in meine wie wund gescheuerten Augen, und meine Lider waren, einmal unten, schwerer wieder hochzuziehen als rostige Rolltore.
    »Unsinn!« Carla lachte, fröhlich wie ein junges Mädchen, glockenhell, mit einem kleinen Scheppern, einem kleinen Sprung drin. »Was kann ich dafür, dass wir uns gleichen wie Schwestern? Sieh doch nur, wie ähnlich wir uns sind!«
    Stoff riss, und der Schlüssel stieß, nur ein paar Millimeterchen vor dem Einrasten, auf Widerstand. Widerstand, immer nur Widerstand, überall. Ich fühlte mich ausgelaugt, ausgelutscht wie eine Acid-Pappe im Tiergarten am Tag nach der Love-Parade.
    »Gott, deine sind fast noch schöner als meine!«
    Wuchs mir eine Latte? Nervöse Reaktion, somit verzeihlich, entschied ich.
    »Carla, lass das! Du weißt, ich will es nicht! Mach mich los, hörst du! Ich will weg hier, also hör auf, hör endlich auf!«
    »Schau doch nur, wie hübsch sie sich aufrichten, wenn sie der kalte Stahl berü…«
    Es fühlte sich an, wie wenn man nach einem Sturz aus dem ersten Stock wieder auf die Beine krabbelt und das Treppenhaus hochstürmt, um es aus der zweiten Etage noch mal zu versuchen, doch es musste sein. Vier Schritte Anlauf waren zu wenig gewesen, um die Tür aufzubrechen, also probierte ich es mit sechs.
    Diesmal segelte ich glatt hindurch, und es hätte mich den Kopf gekostet, wenn mich nicht eine Mischung aus Erschöpfung, Restalkohol und Teppichkante direkt an der Schwelle schon von den Beinen geholt hätte.
    So kam ich mit einer Tonsur davon, als mir das Schwert mit giftig zischendem Horizontalschwung durch die Haarpracht schnitt, krachte zu Boden, rollte mich auf den Rücken, packte sie am Griff und
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