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Equinox

Equinox

Titel: Equinox
Autoren: Jörg Juretzka
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riss sie hoch, und knapp vor meinen Augen kam die Samurai-Klinge mit tödlicher Schneide herabgefegt und hieb eine tiefe Kerbe in Rand und Boden meiner Treuen, Gusseisernen.
    Unter Geifern und Fauchen arbeitete Carla ihre Schneide wieder frei, schrie und spuckte und zog und zerrte und gab mir damit unfreiwillig Gelegenheit, wieder auf die Füße zu kommen, beide Hände weiterhin um den Holzgriff geklammert, zu aufgepumpt, um bewusst einen weiteren Schritt zu planen, aber nicht zu aufgepumpt, um mitzukriegen, dass Carla bis zur Hüfte nackt war unter ihrem blutrot gefütterten Cape, dass ihre Brustspitzen vorstanden wie die Puffer einer Lok, ihr Atem in Stößen ging, ihr rabenschwarzes Haar offen war und zerzaust und es aus ihren beiden runden, weit aufgerissenen Augen hell und kristallblau leuchtete, als ob ihr Kopf eine Strahlenquelle wäre. Eine von der ungesunden, schädlichen Sorte.
    Mit einem Jubelschrei bekam sie die Klinge frei, wirbelte sie einmal über ihren Kopf für noch mehr Schwung, und ich duckte mich und hob gleichzeitig die Pfanne, meinen einzigen Schutz, und spürte den Einschlag kaum, bevor ich nur noch den Holzgriff in Händen hielt und die drei Kilo geschwärztes Eisen mit deutlichem, traurigem Kloinnggg auf den Teppich fielen.
    Carla lachte ein kurzes, unfrohes Lachen voll Arroganz und Häme und holte aus zum Gegenschwung, doch diesmal parierte ich den Schlag, hieb von mir aus gegen die Klinge, und sie flog mir um die Ohren, als sie am Werkzeugstahl meines Schraubenschlüssels zerbrach und …
    Ein Moment keuchender, konsternierter Besinnung folgte. Die letzte Chance einer Waffenruhe, eines geordneten Rückzugs ohne Blut und Tränen, sie kam und sie verging wieder.
    »Mein Schwert!«, kreischte Carla empört, hob ihren lodernden Blick vom vielleicht noch brotmesserlangen Rest der Schneide in ihren Händen, riss das Heft beidarmig in die Höhe, gab einen langen, markerschütternden Schrei von sich und sprang mich aus dem Stand heraus an wie ein Panther in flatterndem Cape.
    Ich denke, im Endeffekt entschied, wer die bessere Kontrolle über die Adrenalinausschüttung besaß. Vielleicht war Carla zu sehr außer sich, zu aufgedreht, vielleicht war mein Blut schon lange zu gesättigt mit dem Zeugs für eine Überproduktion, auf alle Fälle funktionierte ich nur noch als ein einziger synchronisierter Reflex, war fast in der Lage, die Klinge auf ihrem Weg an meinem Ohr vorbei und weiter ins Leere zu beobachten, dann prallte Carla gegen mich, Körper gegen Körper, riss mich mit sich, fiel auf mich. Für einen Moment lagen wir Wange an Wange, spürte ich ihre Hitze, füllte ihr dichter, mitreißender, ungebändigter Duft meine Nase, meinen Kopf, dann, wie mit dem Aufkommen eines kalten Windes, verblasste, verschwand er, Carla wimmerte auf, wälzte sich von mir herunter und umklammerte nun, wie ich gerade noch, den runden, geriffelten Stahlgriff des Eispickels, in den sie sich bei ihrem Sprung hineingestürzt und den sie sich dann bei unserem Fall bis ins Herz gerammt hatte.
    Ein Blutsfaden lief aus ihrem Mundwinkel und Carla Bayonne war nicht mehr.
     
    Elena weinte hemmungslos, sie weinte und weinte. Ich beneidete sie. Schon morgen würde sie einen Großteil des Erlebten herausgelassen, ausgeschwemmt, verarbeitet haben.
    Ich stoppte an einem Handwaschbecken, schrubbte mir das Blut ab. Es wollte nicht abgehen. Das war jetzt das dritte Waschbecken auf unserem Weg, und sosehr ich auch einseifte und schäumte und nibbelte und rieb und wieder und wieder abspülte, Carlas Blut ging nicht weg. Nicht aus den Poren zumindest.
    »Komm, Kristof, komm!«, flehte Elena, unter Tränen. »Sie fahren sonst ohne uns!«
    Ungeduldig und energisch zog sie mich hinter sich her, Treppen hoch, Gänge entlang, Treppen hinunter. Mir war alles egal, ich hatte nichts mehr zu geben, ich war platt wie eine leer georgelte Batterie, die ganze Sinnlosigkeit jeglichen Handelns kam mir überwältigend vor. Wir würden es niemals schaffen, die zwanzig Minuten waren längst abgelaufen. Wenn die Yakuza uns nicht erwischten, dann eben Antonovs Leute, und selbst wenn sie uns am Leben ließen, würde ich in der Zelle landen, während um mich herum Beweise vernichtet oder zu meinen Ungunsten getürkt wurden, und es gab eigentlich keinen Grund, sich nicht einfach fallen zu lassen und das Unausweichliche abzuwarten. Nur vielleicht eben noch die Hände waschen, vorher. Elena lief und zog und ich stolperte hinterher. Wir umrundeten eine Ecke und
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