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Equinox

Equinox

Titel: Equinox
Autoren: Jörg Juretzka
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setzen. Und einen geschmeidigen Kurs zu steuern.
    »Ihr habt den Käptn gehört«, betonte Antonov. »Und damit eines klar ist«, wandte er sich an mich und zerrte ein bisschen an der Front meiner Uniform herum, was mir mindestens so auf den Keks geht wie dieses ewige Am-Arm-Packen, »in Anwesenheit der Schiffsleitung bin ich es, und ich allein, der die >Wa-Wa-Was< beisteuert. Kapiert?« Damit ließ er von mir ab, sah bohrend zu Jochen und wieder zu mir, seufzte und begann seinerseits, seine geschätzte Quadratsumme von fünfundzwanzigtausendsechshundert Kilo mal Zentimeter die ächzende Stahlkonstruktion hinaufzuwuchten.
    »Jochen«, fragte ich nach einer Weile leise, »verstehst du, was hier abgeht?«
    »Antonov«, spuckte Jochen, der in letzter Zeit schon mal gedanklich abschweifte, vor allem, wenn er ein paar Gläser intus hatte, »Fuchs«, spuckte er, wischte sich den Mund mit dem Ärmel ab und richtete sich mühsam zu voller Höhe auf, »und Kryszinski.« Er spuckte noch mal. »Weißt du, wie wir uns anhören?«, fragte er anklagend. »Wir hören uns an wie ein sozialistisches Joint Venture. Wie eine gescheiterte Mission. >Antonov, Fuchs und Kryszinski bei Nordmeer-Expedition verschollen.< So hören wir uns an.« Und er winkte mir, ihm die Treppe hoch zu folgen, während ich mir noch rasch mit den Fingerknöcheln dreimal seitlich gegen den Schädel klopfte. Ist gut gegen herbeigeredetes Unglück. Sagt man.
     
    Bier. Ich blieb bei Bier. Jochen, den es, wie so viele gute Männer vor ihm, als Folge einer in die Hose gegangenen Liebesgeschichte zur christlichen Seefahrt verschlagen hatte, war da experimentierfreudiger, probierte seinen Kummer jeden Tag mit etwas anderem abzutöten. Rotwein, Gin, Wermut, Magenbitter, Eierlikör. Heute mit, wie es schien, exotisch betitelten Cocktails von schillernder Farbenpracht und überbordender Dekoration. Heather, die grotesk übergewichtige texanische Millionenerbin ihm gegenüber, tat es ihm gleich, und so nach und nach steckten die beiden auch die zwei Berliner an, die mit uns am Tisch saßen und nur auf eine Gelegenheit warteten, sich gehörig einen einzuschütten, um in ihre üblichen, lautstark vorgetragenen Ehestreitereien zu verfallen. Ein schriller Schrei und das Klirren einer zu Boden gegangenen Tablettladung Gläser deutete an, dass es der »Läufige Leopold«, ein zahnloser, im Rollstuhl hockender Kunsthändler aus München, mal wieder geschafft hatte, einer Kellnerin in den Schritt zu greifen. »Die blaue Stunde«, wie es die Bordzeitung liebevoll umschrieb, zog mit Macht herauf.
    Der Kellner kam und stellte ungefragt ein Beck’s vor mich hin, bevor er an die anderen hohe Gläser verteilte, aus denen - wofür auch immer - schrillbunte Schirmchen ragten und von deren Rändern gekringelte Schalen von Südfrüchten baumelten wie Kartoffelschalen aus übervollen Treteimern.
    »Auf die Kompetenz der Medizin«, rief Jochen, hob sein Glas und versuchte, gleichzeitig mir und der Texanerin vielsagend zuzuzwinkern, was eine schwer zu beschreibende Gesichtsakrobatik ergab, aber ich hatte andere Sorgen.
    Also, da war tatsächlich ein Draht gewesen. Oben, in dem durch Laufgitter so unbehaglich transparenten, weit über zwanzig Meter hohen Treppenhaus des Maschinentrakts. Ein Draht mit Schlaufe. Genau so, wie es der Doktor gewusst hatte. Außer mir war anscheinend niemand auf die Idee gekommen, dieses Selbstmordinstrument näher zu untersuchen, und mich hatte selbst das Blut an der Schlaufe nicht von meiner Skepsis heilen können. Es hätte in dem Moment, in dem es >Zapp< gemacht hat, noch flüssig gewesen sein müssen, das Blut. Oder nicht?
    Nachdenklich setzte ich die Flasche an und musste feststellen, dass sie schon wieder leer war. An diese Nulldreier-Fläschchen werde ich mich wohl nie gewöhnen.
    Das Blut an der Drahtschlaufe war aber schon halb geronnen, als es irgendjemand darangeschmiert hatte. So sah es zumindest für mich aus. All das machte mir zu schaffen. Und noch etwas: Wir waren auf das eingeschwenkt, was mein Berufskollege die >Zouteboom-Köthensieker’sche Linie< getauft hat. Nicht ganz freiwillig eingeschwenkt, muss man dabei sagen - ich mit meinen eine Selbstmord-These wenig untermauernden Beobachtungen ganz bestimmt nicht -, doch eingeschwenkt nichtsdestotrotz.
     
    Der »tragische Todesfall, wahrscheinlich als Folge privater Probleme« war vom Kapitän selber in der Mannschaftsmesse bekannt gemacht worden, und anschließend hatten Jochen und ich ihn noch
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