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Enwor 3 - Das tote Land

Enwor 3 - Das tote Land

Titel: Enwor 3 - Das tote Land
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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verkrüppelter Baum, die Äste unter einem Panzer aus wasserklarem Eis zu toten Krallen erstarrt, und in weiter Ferne glaubte er ein paar dunkle, flache Umrisse zu erkennen, halb im Schnee vergraben und zu klein, um Menschen oder Pferde zu sein. Jetzt, als er mit dem Fluß auf gleicher Ebene war, konnte er ihn nicht mehr sehen. Es schneite nicht mehr, aber in der Luft lag ein feiner, trockener Nebel aus pulverigem Schnee, dem der Wind immer wieder neue Nahrung zuführte, so daß alles, was weiter als zwei- dreihundert Fuß entfernt lag, nur mehr schemenhaft zu erkennen war. Der Horizont war verschwunden, aufgelöst in wirbelnden weißen Dunst.
    Skar öffnete seinen Mantel, streifte ihn nach kurzem Zögern ganz ab und legte ihn zusammengefaltet vor sich auf den Sattel.
    Er war am Vortag zu müde gewesen, um noch auf seine Umgebung zu achten; die Trostlosigkeit und Kälte des Landes war ihm ebenso entgangen wie die genaue Entfernung zum Fluß. Aber er wußte, daß es nicht mehr weit sein konnte. Eine Meile, vielleicht zwei; mehr nicht.
    Nach hundert Schritten fand er den ersten Toten.
    Es war wie eine bizarre Wiederholung des ersten Males, als er einen der schwarzen, horngepanzerten Krieger gesehen hatte. Auch er lag, lang ausgestreckt und halb unter wehendem Schnee vergraben, auf dem Gesicht, die Hände in einer erstarrten Bewegung um den Griff eines Schwertes gekrampft, dessen Klinge zersplittert war. Aber er war nicht der Kälte oder dem Hunger zum Opfer gefallen, wie jener erste Krieger, den sie in Tuan gefunden hatten. Skar brachte sein Pferd dicht neben der reglosen Gestalt zum Stehen und beugte sich im Sattel vor. Er stieg nicht ab, aber was er vom Rücken des Tieres aus sah, ließ einen bitteren Geschmack auf seiner Zunge entstehen. Der Schnee war, entlang der breiten, zerwühlten Spur, über die sich der Sterbende geschleppt hatte, schwarz vor geronnenem Blut und verklumpt. Die Rüstung war zerschmettert, aber es war nicht die Spur einer Waffe, die Skar sah; zumindest nicht die irgendeiner, die er gekannt hätte. Der Panzer schien wie von gewaltigen Hammerschlägern zertrümmert, eingedrückt und zerrissen wie dünnes Pergament; Skar war plötzlich froh, den geschundenen Körper darunter nicht sehen zu können. Er überlegte einen Moment, ob er absteigen und den Leichnam genauer untersuchen sollte, richtete sich aber dann im Sattel auf und sah konzentriert in die Richtung, in die die Spur des Kriegers wies. Der Wind frischte auf, und mit den eisigen Böen wurde auch das Schneetreiben stärker; Schnee, der nicht vom Himmel, sondern in tanzenden Schwaden vom Boden emporwirbelte, als wolle er ihm absichtlich den Blick auf das, was hinter ihm verborgen lag, verwehren.
    Skar zog mit einer bedächtigen Bewegung sein Tschekal aus dem Gürtel, löste den runden, lederbezogenen Schild, den ihm die Sumpfleute mitgegeben hatten, vom Sattelgurt und streifte ihn über den linken Arm, ließ die Halteschlaufen jedoch absichtlich offen. Sein Pferd ging auf einen knappen Schenkeldruck hin weiter, aber seine Schritte schienen langsamer, zaghaft und beinahe widerwillig, als spüre es mit seinen feineren Instinkten eine Gefahr, die Skar selbst hinter dem tobenden Schneenebel nur erahnen konnte.
    Skar lauschte, aber das monotone Heulen des Windes war das einzige Geräusch. Selbst die Hufschläge des Pferdes wurden von der knöcheltiefen Schneeschicht auf dem Boden verschluckt. Dann fand er den zweiten Toten. Er war halb begraben im Schnee, als hätte er versucht, sich in den hartgefrorenen Boden darunter zu verkriechen. Seine Rüstung war unbeschädigt, aber wo seine Beine sein sollten, waren nur zwei blutige Stümpfe. Neben seiner Spur war eine zweite, schmalere; ein dünner senkrechter Graben im Schnee, der im spitzen Winkel auf die Spur des Flüchtenden zustieß und sich mit ihr dort vereinigte, wo er gestorben war.
    Skar ritt weiter. Er fand noch mehr Leichen, drei, fünf, dann eine ganze Gruppe, die sich wie eine Herde flüchtender Tiere aneinandergedrängt und gemeinsam versucht haben mußte, sich zu verteidigen. Die Spuren waren jetzt im einzelnen nicht mehr zu erkennen: Der Schnee war zertrampelt, besudelt mit Blut, übersät mit zertrümmerten Waffen und Bruchstücken von Rüstungen, mit Toten, manchmal auch nur mit abgeschlagenen, verstümmelten Gliedmaßen. Und es war still, unheimlich still. Skar kannte die bedrückende Ruhe eines Schlachtfeldes nach dem Kampf, aber dies hier war etwas anderes. Im Heulen des Windes
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