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Enwor 3 - Das tote Land

Enwor 3 - Das tote Land

Titel: Enwor 3 - Das tote Land
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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an.
    Lange, sehr lange stand er reglos hinter den Zinnen der zerborstenen Wehrmauer. Er dachte nicht, nicht bewußt. Aber langsam, allmählich und fast, ohne daß er sich dessen selbst bewußt wurde, reifte ein Entschluß in ihm. Etwas, das irgendwie mit dem Ding in ihm verkettet schien, ein schwaches Echo auf die Präsenz seines Dunklen Bruders. Dieser war erwacht, endgültig, schon vor langer, langer Zeit, ohne daß Skar es selbst bemerkt hätte, aber jetzt spürte er ihn wie einen großen, schweigenden Schatten, der hinter seinen Gedanken lauerte, eine Gewalt, ungleich stärker, als selbst Vela ahnte. Wie hatte Kor-tel gesagt? Wende es richtig an. Es kann uns den Sieg bringen — oder uns alle vernichten. Er hatte geglaubt, es nicht zu können, aber das stimmte nicht. Der Bruder war wach, war es die ganze Zeit gewesen, und gerade sein Schweigen hätte ihm dies deutlich machen müssen. Aber anders als die Male zuvor würde er diesmal nicht Gewalt über ihn erlangen, nicht, ehe er es selbst wollte.
    Diesmal würde er das Monstrum in sich freiwillig entfesseln müssen, ihm vollständig und ohne Vorbehalte Macht über sich, seine Gedanken und sein Tun geben müssen. Und er wußte, daß der Dunkle Bruder diesmal nicht wieder gehen würde. Er hatte ihn zweimal zurückgedrängt; ein drittes Mal hatte er nicht die Kraft dazu.
    Aber er würde es tun. Die Errish hatte den Kampf begonnen, ohne zu ahnen, mit welcher Macht sie sich anlegte. Sie hatte ihn haben wollen, ihn — oder das Ding in ihm — und sie würde es bekommen.
    Er wußte plötzlich, was zu tun war. Der Gedanke erschreckte ihn selbst jetzt noch, aber er war gepaart mit dem Wissen, daß es die letzte verbliebene Möglichkeit war. Er würde seinem Dunklen Bruder ein letztes Mal gestatten, Gewalt über ihn zu erlangen. Und er würde die Errish vernichten, sie, den Drachen und diesen verfluchten Stein der Macht. Er wußte, daß er es konnte.
    Aber er wußte auch, daß er hinterher sterben würde.
    I rgend etwas stimmte nicht. Er hatte das Kastell verlassen, ohne aufgehalten oder auch nur angesprochen zu werden.
    Sein Pferd hatte gesattelt und fertig gerüstet neben dem Ausgang gestanden, als er die Wehrmauer verließ; wenn es noch eines Beweises dafür bedurft hätte, daß die Sumpfmänner seine Gedanken lasen, so war es dieser. Aber er verschwendete nicht mehr als eine halbe Sekunde an diesen Gedanken. Gowenna war im Inneren des Festungsgebäudes geblieben. Vielleicht wußte sie nicht, was er tat, vielleicht wußte sie es auch und respektierte seinen Wunsch, allein zu bleiben. Seitdem war er geritten, eine winzige Gestalt am Ende einer langsam länger werdenden Spur, die sich vom Kastell den Weg, den sie vor Tagesfrist gekommen waren, zurückschlängelte. Die Felsen wichen vor ihm auseinander, als er den Spalt am unteren Ende des Hanges durchschritten hatte, aber das gewaltige, schneebedeckte Plateau unter ihm war leer. Weder von Vela noch von ihren Kriegern zeigte sich die geringste Spur. Er war weiter geritten, über das Plateau, tiefer hinein in das Labyrinth aus Fels und glitzerndem Eis, in das der Winter das Vorgebirge verwandelt hatte. Er ritt eine Stunde, dann zwei, ohne auf ein Anzeichen des näherrückenden Heeres zu stoßen. Die Berge waren leer, tot, so tot wie Tuan, von dem sie nur der Fluß und ein schmaler Streifen der Sümpfe trennte.
    Als die Sonne im Zenit stand, erreichte er den Fuß des Gebirges. Er tränkte sein Pferd, gönnte ihm und sich selbst eine halbe Stunde Rast und ritt weiter, auf das schimmernde weiße Band des Flusses zu. Irgendwo auf dem Weg zwischen ihm und den Bergen würde er auf Velas Armee stoßen. Die Späher, die El-tra ausgeschickt hatte, hatten berichtet, daß sie den Fluß bereits durchschritten hatte; vor Stunden, lange, bevor die Sonne aufging. Skar hatte damit gerechnet, sie irgendwo auf halbem Wege zwischen hier und dem Kastell zu treffen, aber aus irgendeinem Grund war sie nicht weitergezogen. Vielleicht, dachte er, um ihren Kriegern eine letzte Rast vor der Schlacht zu gönnen, wenige Stunden Schlaf, damit sie ausgeruht in den Kampf ziehen konnten.
    Aber vielleicht wußte sie auch, daß er kommen würde, und wartete auf ihn. Die letzten Felsen blieben hinter ihm zurück, und vor ihm lag eine gewaltige, brettflache Ebene, bedeckt mit Schnee und Kälte, einer glitzernden weißen Decke, unversehrt; die Spuren ihres Gewaltmarsches waren mit dem Schnee der vergangenen Nacht getilgt. Hier und da wuchs ein
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