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Enwor 1 - Der wandernde Wald

Enwor 1 - Der wandernde Wald

Titel: Enwor 1 - Der wandernde Wald
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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erlaubt waren. Langsam, Stück für Stück und mit der Geduld eines Mannes, der durch eigene schmerzhafte Erfahrung hatte lernen müssen, daß Geduld und nichts als Geduld zum Ziel führen konnte, hatte er Del zu einem Spezialisten in der einzigen Kunst gemacht, die auf dieser Welt von wirklicher Bedeutung war: Überleben. Und Del hatte sich vom ungestümen Raufbold erst zum Schüler, dann zum Kämpfer entwickelt, war vom Kind zum Mann und schließlich zum Satai geworden. Er war jung, ungeduldig und selbst jetzt noch manchmal bis über die Grenzen des Leichtsinnes hinaus draufgängerisch, aber er hatte etwas, das all diese Mängel mehr als wettmachte: seine Jugend. Und wenn Skar sich an jenen letzten Kampf vor fünf Tagen zurückerinnerte, dann war es Del gewesen, der letztlich eine Bresche in die heranwogende Mauer der Quorrl gehauen hatte. Del, der, blutüberströmt und in beiden Fäusten ein Schwert schwingend, wie ein leibhaftig gewordener Rachegott durch die dutzendfache Übermacht der Graugeschuppten gebrochen war und sie allein durch seine Entschlossenheit zurückwarf, ein Mann gegen drei Dutzend Feinde, und es war auch Del gewesen, der schließlich mit seinem eigenen Körper den Axthieb aufgefangen hatte, der Skar den Kopf von den Schultern hatte trennen sollen.
    Es war nicht richtig, daß er als erster sterben sollte.
    Es war einfach nicht fair.
    Skar lächelte schmerzlich. Der Unterschied war rein theoretischer Natur. Ein paar Stunden, mehr nicht. Vielleicht noch nicht einmal.
    Skar wunderte sich, daß er noch die Kraft fand, sich herumzudrehen und die paar Schritte bis zu seinem Pferd hinüberzuwanken. Der Boden erschien ihm mit einem Mal besonders locker und nachgiebig, trockener Sumpf statt Sand, in den er bei jedem Schritt bis zu den Knöcheln einsank, als hätte sich nun auch noch dieser Teil der Natur gegen ihn verschworen und versuche mit aller Macht, ihn nicht von der Stelle kommen zu lassen. Dieses Tal war ihr Grab. Er war tot, ohne es selbst zu wissen, und Tote haben kein Recht, in ihren Gräbern herumzulaufen.
    Er schleppte sich mühsam zu seinem Tier, stützte sich schwer auf den Sattel und bettete für Sekunden den Kopf in der Armbeuge. Die Sonne brannte heiß und unbarmherzig auf ihn herunter. Ihre Strahlen badeten seinen verbrannten Rücken in trügerischer Wärme und ließen ein Gefühl des Wohlbefindens in ihm emporsteigen; Müdigkeit von einer ganz anderen Art, als er sie bisher gekannt hatte. Er hatte nie geglaubt, daß das Sterben so leicht sein sollte in den letzten Augenblicken. Aber er erkannte plötzlich, daß es stimmte.
    Es war nicht nur leicht, es war schön.
    Schließlich, nach einer Ewigkeit, hob er den Kopf und tastete blind nach dem Zaumzeug. Mit hängenden Schritten führte er das Tier zu Del hinüber.
    Seine Finger waren steif und ungelenk, erst beim dritten Versuch gelang es ihm, den schmalen Zierdolch aus der Sattelscheide zu ziehen. Er schnitt sich an der rasiermesserscharfen Klinge, aber der Schmerz erschien ihm seltsam fremd und irreal und vermochte den Schleier aus Wärme und Müdigkeit und gedämpften Farben, in den sich sein Bewußtsein gehüllt hatte, nicht zu durchdringen.
    Skar tätschelte liebevoll den Hals seines Tieres. Das Pferd wandte müde den Kopf und sah ihn aus entzündeten, grindigen Augen an. In seinem Blick schien fast so etwas wie Vorwurf zu liegen.
    Er wich dem Blick der dunklen Augen aus und berührte sanft die Kniekehlen des Ponys. Gehorsam legte es sich neben Del in den Sand.
    Skar schloß die Augen, zählte in Gedanken langsam bis zehn und stieß dann mit aller Kraft zu.
    Das Pferd gab nicht einmal einen Laut von sich. Es bäumte sich auf, zuckte zwei-, dreimal mit den Hinterläufen und erschlaffte dann. Der Tod mußte eine Erlösung gewesen sein. Jedenfalls versuchte Skar sich das einzureden.
    Skar zog den Dolch zurück, preßte mit der Linken die Wundränder zusammen und unterdrückte den übermächtigen Wunsch, das Gesicht in das hervorsprudelnde Blut zu tauchen und zu trinken, trinken, trinken. Stöhnend beugte er sich zu Del hinüber, griff nach dessen Gürtel und zerrte ihn unter Aufbietung aller Kräfte zu sich heran. Der reglose Körper des jungen Satai schien Zentner zu wiegen.
    Del erwachte, als das warme Blut sein Gesicht benetzte. Seine Lider flatterten. Er stöhnte, drehte den Kopf und riß gierig den Mund auf, um den warmen, pulsierenden Strom aufzufangen. Ekel wallte in Skar empor, aber der wurde begleitet von dem immer stärker
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