Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Enwor 1 - Der wandernde Wald

Enwor 1 - Der wandernde Wald

Titel: Enwor 1 - Der wandernde Wald
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
werdenden Verlangen, es Del gleichzutun. Dels Gesicht verwandelte sich in eine rote, glitzernde Todesmaske, die gierig nach dem pulsierenden, klebrigen Blut schnappte und blubbernde und gurgelnde Geräusche von sich gab.
    Skar wandte sich angeekelt ab. Automatisch wollte er seine Hand am Wams abstreifen, überlegte es sich dann aber anders und führte die Finger behutsam zum Mund.
    Es schmeckte warm, salzig und auf sonderbare Art nicht einmal unangenehm. Nach Leben.
    Zögern leckte er sich die Finger ab, langsam und voller Bedacht, um ja nichts von der kostbaren Flüssigkeit zu verschenken und keinen Tropfen zu übersehen, tauchte die Hand dann erneut in den pulsierenden Blutstrom und führte sie wieder zum Mund.
    Dann stürzte er sich mit einem krächzenden Schrei hinab und schnappte mit weit geöffneten Lippen nach dem hervorsprudelnden Lebenssaft des Pferdes.
    Eine Berührung weckte ihn; etwas wie das Kitzeln tastender, samtweicher Pfoten auf seiner Brust. Für die Dauer eines Herzschlages bildete er sich ein, ein leises Schnurren zu hören, ein Geräusch, das ihn an den Laut einer zufriedenen Katze erinnerte, dann ein Rascheln und Schaben, als schleiche irgendwo in seiner Nähe etwas Großes, Kräftiges und doch ungemein Elegantes herum.
    Skars Hand tastete instinktiv nach dem Schwertgriff. Die Berührung des kalten, glatten Metalls beruhigte ihn ein wenig, aber seine Nerven blieben trotzdem angespannt. Vorsichtig, wohl wissend, daß selbst ein zu rasches Öffnen der Augen ein herumschleichendes Raubtier zum Angriff reizen konnte, hob er die Lider.

Aber da war nichts.
    Skar brauchte endlose Sekunden, um sich wieder zu erinnern, wo er war. Über ihm glitzerte die kalte, sternenübersäte Pracht des Wüstenhimmels. Das Sternenlicht überschüttete die Hügel, die jetzt bei Nacht seltsam flach und tiefenlos wirkten, mit fließendem Silber und Grau in allen denkbaren Schattierungen. Das Geräusch, das er gehört hatte — oder sich eingebildet hatte zu hören —, war das Winseln des niemals verstummenden Windes, und die Berührung war die der sanften, einschmeichelnden Hand des Sandes, der bereits begonnen hatte, seinen Körper in einen weichen, warmen Kokon einzuspinnen.
    Er öffnete vollends die Augen und setzte sich mit einem Ruck auf. Er fühlte sich seltsam ausgeruht und kräftig. Seine Muskeln schmerzten noch immer, und sein Rücken brannte, als hätte er auf einem Nadelkissen gelegen, aber es war ein Schmerz ganz anderer Art, als er ihn vorher verspürt hatte.
    Der Durst machte sich wieder bemerkbar, wenn auch nicht mehr so unerträglich wie zuvor. Er nahm die Hand vom Schwertgriff, ballte die Finger vor dem Gesicht zur Faust und sah sich aufmerksam um. Langsam kroch die Erinnerung an das, was er getan hatte, in sein Bewußtsein zurück. Er wußte nicht mehr, wie lange ihr grausames Mahl angedauert hatte, aber Del und er waren wie zwei riesige menschliche Vampir-Fledermäuse über den geschundenen Leib des Tieres hergefallen.
    Sein Blick blieb einen Moment am Kadaver des Pferdes haften. Die Dunkelheit ließ ihn zu einem schwarzen, formlosen Umriß werden, aber er bildete sich immer noch ein, den anklagenden Blick der dunklen Pferdeaugen zu spüren. Ein vages Gefühl der Schuld machte sich in ihm breit. Das Tier hatte ihnen gedient bis in den Tod und darüber hinaus. Zum Dank hatten sie ihm das einzige genommen, was es noch besessen hatte — sein Leben. Sie hatten seinen Körper regelrecht ausgesaugt, Schluck für Schluck der bitteren roten Flüssigkeit getrunken, bis das Blut bereits zu gerinnen begann und als klebrige, zähe Masse ihre Münder verstopfte. Erst dann hatten sie von ihm abgelassen und waren erschöpft zurückgesunken.
    Er stand auf, säuberte — mehr aus Gewohnheit denn aus Reinlichkeit — seine Kleider, so gut es ging, und betrachtete angewidert seine Hände. Sie waren schwarz von geronnenem Blut und Schmutz und erinnerten an verkrümmte, abgestorbene Baumstrünke, taub und ohne Gefühl und kaum zu irgend etwas zu gebrauchen. Seine Hände waren mit Wunden und Abschürfungen übersät, und etwas von dem Blut daran war sein eigenes. Aber er spürte keinen Schmerz.
    Eine Zeitlang stand er schweigend da und starrte ins Leere, dann drehte er sich um und umrundete langsam den Pferdekadaver, instinktiv Abstand zu dem leblosen Leib haltend. Ein schwacher, süßlicher Geruch hing in der Luft. Der Kadaver begann bereits zu verwesen. In diesem mörderischen Klima würde es nicht lange dauern,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher