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Enthuellungen eines Familienvaters

Enthuellungen eines Familienvaters

Titel: Enthuellungen eines Familienvaters
Autoren: Giovannino Guareschi
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einander am 12. November 1920 kennengelernt; ich war fünfzehn Jahre alt, gerade in die erste Klasse eingetreten und hatte mich mit so viel Begeisterung auf Tacitus und die Logarithmen gestürzt, daß Herr Luigi ausgerufen hatte: „Übertreibe nicht, Giovannino!“
    Ich werde mich immer an diesen 12. November 1920 erinnern. Ich war der ruhigste, fleißigste, ordentlichste Schüler der Klasse; wer gab es mir am 12. November 1920 um 10 Uhr 25 ein, ein Lehrbuch in den südöstlichen Winkel des Klassenzimmers zu schleudern? Wirre Erinnerungen wollen mir erklären, daß dies durch Giancarlo provoziert wurde, der mich seit einer halben Stunde aus diesem südöstlichen Winkel mit gekauten und dann passenderweise in Tinte getauchten Papierkugeln beschoß; doch ich glaube es nicht! Hier tritt nämlich das Schicksal auf den Plan, dasselbe Schicksal, welches gefügt hat, daß ich eines Morgens zu Fuß und ohne Schloß in die Schule kam.
    Ich wurde vom Lateinprofessor gebeten, mich möglichst schnell aus dem Schulgebäude zu entfernen. Der Herr Direktor schloß sich dieser Meinung an, und ich kam den Wünschen unverzüglich nach. Ich erinnere mich genau: es war ein milder, klarer Novembertag, das Laub des Parks war vergoldet, alle Bänke waren leer, nur eine einzige wurde von einem Mädchen mit schwarzen Haaren eingenommen. Das Schicksal wollte, daß ich mich gerade auf die von dem Mädchen mit den schwarzen Haaren eingenommene Bank setzte. Das Mädchen las in einer Zeitschrift, und als ich einige Spannen von ihr entfernt Platz nahm, erblickte ich einen Tacitus und eine griechische Syntax. „Sind Sie auch im Lyzeum?“
    Das Mädchen hob die Augen von der Zeitschrift, Augen, die selbst einen Universitätsstudenten aus der Ruhe gebracht hätten. „Ja“, erklärte sie, „erste Klasse, zweite Abteilung.“
    „Sind Sie auch suspendiert?“
    „Ja. Mathematik. Tintenfaß.“
    „Latein. Wörterbuch“, sagte ich.
    Wir schwiegen lange, dann teilte ich ihr errötend mit, daß ich Giovannino hieße.
    „Margherita“, antwortete sie. „Drei Tage Suspendierung.“
    „Ich auch.“
    Dann schwiegen wir, denn über dieser ganzen Unterhaltung war es Mittag geworden, und wir mußten nach Hause gehen.
    Am Parktor trennten wir uns.
    „Guten Tag.“
    „Guten Tag.“
    Am nächsten Morgen kam ich wieder in den Park, um den Herbst zu betrachten. Um zehn erschien Margherita.
    Und auch am Tag darauf war es so. Immer war es so.
    Wir waren zusammen dreißig Jahre alt. Abends, wenn wir aus der Schule gingen, trafen wir rasch unser heimliches Übereinkommen. „Morgen?“
    „Übermorgen.“
    Und wir ließen uns suspendieren. Dann trafen wir einander im Park oder an der Stadtmauer und sprachen von unbedeutenden, unschuldigen Dingen; sehr oft schwiegen wir auch, einen Meter voneinander entfernt sitzend, aber ich fühlte mein Herz voll Süße und dachte an Dido und andere große Liebende der Geschichte.
    Am Ende des Schuljahres fielen wir beide durch.
    „Vielleicht werden sie uns nächstes Jahr in dieselbe Abteilung stecken“, sagte Margherita, und ich fühlte mich glücklich.
    Im Jahr darauf kam ich jedoch in die B, und Margherita kam in die A. Und wir fielen nach gemeinsamem Beschluß wieder durch. Als ich zum drittenmal in die erste Klasse eintrat, barst mir fast das Herz vor Freude; Margherita war in derselben Abteilung wie ich. Wir beschlossen aufzusteigen. Wir wollten nicht allzusehr auffallen, indem wir übermäßig auf einer Klasse bestanden. Als wir in die zweite kamen, waren wir achtzehn. Eines Tages schwor ich ihr im Park feierlich, ich würde mein Leben lang im Lyzeum bleiben, nur um sie jeden Tag in meiner Nähe zu haben.
    Margherita machte, wie gewöhnlich, wenig Worte. „Ich auch, ich schwöre es dir.“
    Wir fielen wieder durch, aber als wir zum zweitenmal in die Zweite gekommen waren, bemerkten wir, daß wir bei boshaften Leuten Verdacht zu erregen begannen. Wir mußten uns für die Augen der Welt wenigstens kurze Zeit trennen. Einer von uns beiden mußte aufsteigen. Mutig bot ich mich an.
    „Nein“, antwortete Margherita, „die Liebe muß vor allem für die Frau ein Opfer sein! Ich werde aufsteigen.“
    Ich ging zum drittenmal in die zweite Klasse, und Margherita stieg in die dritte auf. Im nächsten Jahr bewirkte es Margherita, daß sie durchfiel, und ich stieg auf. Dann fielen wir beide durch, und ebenso im Jahr darauf; die Welt sollte nur sehen!
    Wichtig war es, beisammenzubleiben, einander jeden Tag zu treffen, sich jede
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