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Enthuellungen eines Familienvaters

Enthuellungen eines Familienvaters

Titel: Enthuellungen eines Familienvaters
Autoren: Giovannino Guareschi
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Fieber ins Bett; meine Mutter hatte ihr mitgeteilt, daß die Butter um sechs Centesimi pro Kilo teurer geworden sei. Das war ein furchtbarer Schmerz für Großmutter Giuseppina. Die vortreffliche Frau konnte es nicht billigen, daß die Preise des Jahres 1887 Veränderungen mit steigender Tendenz unterworfen wurden. Sie sah dafür keinen vernünftigen Grund.
    Und um ihr weiteren Schmerz zu ersparen, entwarfen Herr Luigi und Frau Flaminia einen wahrhaft genialen Plan. Für Großmutter Giuseppina sollten die Preise nie wieder erhöht werden, die Lebenskosten sollten auf der Grundlage von 1887 verharren. Herr Luigi fuhr fort, Großmutter Giuseppina die gleiche wöchentliche Summe einzuhändigen, und Großmutter Giuseppina übergab ihrerseits meiner Mutter jeden Morgen einen unveränderlichen Betrag für die häuslichen Ausgaben. Natürlich glich Herr Luigi die erforderliche Differenz mit einer gesonderten Kasse aus. Alles funktionierte vortrefflich. Im Jahre 1902 hatte Herr Luigi eine der wenigen guten Ideen seines Lebens, um die betrübte Seele der Großmutter Giuseppina aufzuheitern, die infolge eines plötzlich aufgetretenen Gebrechens genötigt war, ihren Lehnstuhl nicht mehr zu verlassen. Er gab ihr weiterhin vier Lire wöchentlich, doch ließ er eine progressive Preissenkung einsetzen. Alle zwei, drei Tage rief meine Mutter mit freudigem Staunen aus: „Großmutter Giuseppina, es genügt, wenn du mir heute statt siebenundfünfzig nur fünfundfünfzig Centesimi gibst; das Fleisch ist von zwanzig auf achtzehn pro Kilo gefallen!“ Und die Preissenkung hielt an; das Brot gelangte im Jahre 1920 auf zwei Centesimi, 1923 kostete das Kalbfleisch einen Centesimi, 1925 kostete ein Faß guten Weines nicht mehr als drei Centesimi. Im Jahre 1929 stellte Großmutter Giuseppina nach sorgfältig durchgeführten Berechnungen fest, daß man für 15 Centesimi ein vortreffliches Pferd kaufen konnte.
    Dank der List Herrn Luigis hat Großmutter Giuseppina siebenundzwanzig Jahre wachsenden Glückes durchlebt; denn sie konnte große Ersparnisse zurücklegen; 214 Lire und 87 Centesimi.
    „Wenn ich sterbe, wird alles dir gehören“, sagte mir Großmutter Giuseppina eines Tages. „Du wirst dir ein schönes Haus kaufen, und wenn du ein wenig Zeit hast, wirst du zu mir auf den Friedhof kommen, um ein bißchen mit mir zu schwatzen.“
    Arme Großmutter Giuseppina! Du wirst nie erfahren, daß man mit fünfzehn Centesimi kein Pferd kaufen kann. Deine 214 Lire und 87 Centesimi bedeuten, solange du das Sonnenlicht siehst, eine Summe, die Giovannino genügt, um ein schönes Haus zu kaufen. Dann, wenn du Großvater Francesco eingeholt haben wirst, der seit zweiundvierzig Jahren auf dich wartet, werde ich deine 214 Lire und 87 Centesimi, alles in ganz kleiner Münze, in ein Safe der Nationalbank einschließen und werde ruhig und sicher sein, denn ich werde sagen können: „Ich habe eine Million auf der Bank.“

    Ich setzte mich neben den Lehnstuhl von Großmutter Giuseppina, denn ich begriff gleich, daß da etwas dahintersteckte.
    „Großmutter Giuseppina, warum sagst du, daß ich nach Argentinien reisen soll?“
    „Deine Eltern haben gestern lange miteinander gesprochen. Sie haben gesagt, daß du dir deinen Lebensunterhalt selbst verdienen mußt. Die Butter ist pro Tonne von zwei auf eineinhalb Centesimi gefallen, aber das Leben ist teuer, Giovannino. Dein Vater ist alt und will nicht, daß du morgen mittellos auf der Straße stehst. Ich könnte dir mehr geben, aber ich fürchte, daß man es dir stiehlt. Es heißt, daß es in Amerika Räuber gibt. Wenn du etwas brauchst, schreib; ich kann dir auch zehn Centesimi wöchentlich schicken.“
    „Danke, Großmutter Giuseppina.“
    Ich drückte einen Kuß auf ihre weißen Haare und ging in den Garten hinunter. In diesem Augenblick rief mich Herr Luigi in sein Arbeitszimmer.
    Herr Luigi war schwarz gekleidet und trug das Cavaliere-Kreuz im Knopfloch. Auch meine Mutter, Frau Flaminia, war in Schwarz, ohne Cavaliere-Kreuz, aber gleichfalls feierlich.
    Nach einem Moment des Schweigens sagte Herr Luigi: „Giovannino, du bist kein Knabe mehr; du bist vierundzwanzig Jahre alt und hast das humanistische Reifezeugnis. Deine Großmutter Giuseppina ist zweiundneunzig Jahre alt, dein Vater zweiundsechzig, deine hier anwesende Mutter sechzig.“
    „Neunundfünfzig“, berichtigte Frau Flaminia flüsternd.
    „Deine Mutter ist neunundfünfzig Jahre alt, du bist vierundzwanzig, dein Bruder ist dreißig und
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