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Enthuellungen eines Familienvaters

Enthuellungen eines Familienvaters

Titel: Enthuellungen eines Familienvaters
Autoren: Giovannino Guareschi
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Gäßchen weiter. Vor einem bescheidenen Haus wies die Wahrheit auf einen blassen Lichtstrahl, der durch den Spalt einer Jalousie drang, und sagte:
    „Hier ist es!“
    Die eigenartige Gesellschaft stieg langsam und geräuschlos die Treppen hinauf. Und es konnte auch gar kein Geräusch zustande kommen, denn es handelte sich um ewige Personen, und das Ewige macht keinen Lärm.
    In einem von einer Kerze erleuchteten ganz kleinen Zimmer standen ein großes Bett und eine ganz kleine Wiege, und in der ganz kleinen Wiege lag ein ganz kleines Kind von ganz wenigen Zentimetern Länge. Das Kind schlief, und die Mutter, über die Wiege gebeugt, betrachtete es sinnend.
    Die sieben Gestalten stellten sich hinter der Frau im Halbkreis auf. „Mein Kind ist das schönste auf der ganzen Welt“, sagte die Mutter. „Das finde ich auch“, rief die Lüge.
    „Die Schönheit zählt nicht“, erklärte die Zeit.
    Und das Leben bemerkte trocken: „Vor allem muß es gesund sein.“ Der Tod beugte sich über den ganz kleinen Knaben und legte das Ohr auf seine Brust.
    „Rühr ihn nicht an, sonst breche ich dir die Knochen!“ rief das Leben und packte den Tod an der Schulter.
    „Mach dir keine Sorgen“, antwortete der Tod, „ich kenne mein Handwerk.“
    Er horchte lange, dann entschied er: „Ein wenig schwach auf der Lunge. Ich könnte ihn gleich mitnehmen.“
    „Untersteh dich“, replizierte das Leben angriffslustig. „Der gehört mir!“
    „Zankt nicht schon wieder!“ vermittelte die Zeit, „Laßt nur mich machen. Ihr wißt, daß ich jedem gebe, was ihm zukommt.“
    „Lassen wir die Zeit machen“, stimmten alle zu.
    Die Mutter hörte nichts; sie war über ihr Kind gebeugt und sah nur ihr Kind.
    „Du wirst der Trost meines Lebens sein“, sagte sie. „Wer weiß, was du werden wirst, wenn du groß bist?! Ich werde mir für dich das Brot vom Mund absparen, ich werde große Säcke mit Kartoffeln auf meinen Schultern tragen; und wenn dein Vater aus dem Krieg zurückkommt, wird er auch nur für dich arbeiten.“
    Die Wahrheit schüttelte betrübt den Kopf. „Sein Papa wird nicht zurückkommen“, seufzte sie.
    Der Tod blätterte in einem seiner Notizbücher. „Sehr richtig! Zwei Tage hat er noch.“
    Das Leben ballte die Fäuste und schüttelte sie drohend vor seinem Gesicht.
    „Was willst du?“ murmelte der Tod. „Den Krieg habe ich nicht erfunden, sondern du.“
    Das Leben senkte den Kopf.
    Die Mutter schaute ihr Kind an. „Vielleicht wirst du ein tüchtiger Doktor mit einem weißen Kittel, vielleicht ein Geometer, dem das Lineal aus der Rocktasche guckt. Vielleicht wirst du sogar ein Offizier.“
    Alle blickten fragend auf die Wahrheit.
    „Er wird ein Fahrraddieb werden“, seufzte die Wahrheit betrübt. „Aber dann wird er in sich gehen!“ rief die Hoffnung.
    „Nein, er wird im Gefängnis enden. Arme, unglückliche Frau!“
    Das Leben konnte sich nicht halten und ging auf das Glück los. „Warum benimmst du dich nicht wenigstens einmal anständig, du schamlose Person? Warum hilfst du dieser Unglücklichen nicht ein bißchen?“
    Das Glück begann zu greinen. „Was kann ich denn dafür? Ihr wißt doch, daß ich nichts sehe, daß ich dem Zufall hörig bin, der mich schändlich mißbraucht! Warum haßt ihr mich so? Ich möchte ja, aber ich kann nicht. Es ist zu spät. Der widerwärtige Zufall wünscht, daß ich heute abend in Mailand den Commendatore Abici begünstige und ihn weitere vier Millionen gewinnen lasse.“
    Alle schwiegen. Dann rief der Tod in einem plötzlichen Anflug von Edelmut: „Jetzt nehme ich ihn mit! Sofort! Und wenn du dich widersetzt, bist du eine schlechte Person.“
    Das Leben senkte den Kopf.
    Der Tod streckte die Hand aus, aber die Wahrheit hielt ihn zurück. „Nichts zu machen! Das Schicksal will, daß er ein Fahrraddieb wird.“
    „Nie kann man eine gute Tat vollbringen!“ brummte der Tod.
    Die Mutter betrachtete ihr Kind und sagte: „Ich werde die glücklichste Frau der Welt sein.“
    Die sieben Gestalten entfernten sich schweigend. Als sie auf der Straße waren, fragte die Zeit: „Nun, was schreiben wir in unserem Bericht an das Schicksal?“
    „Schreibt: Es ist vollkommen unnütz, uns hierhin und dorthin zu schicken, wenn sowieso schon alles festgesetzt ist!“ rief das Leben. „Wir sind ja alle miteinander nichts wert.“
    „Der neue Bahnhof wird ein Meisterwerk“, sagte die Lüge.
    „Ich muß fort, ich habe keine Zeit zu verlieren“, sagte die Zeit. „Auf
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