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Enthuellungen eines Familienvaters

Enthuellungen eines Familienvaters

Titel: Enthuellungen eines Familienvaters
Autoren: Giovannino Guareschi
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Wiedersehen!“ sagte die Hoffnung.
    „Glück auf!“ sagte das Glück.
    Und so geschah’s nicht durch das Werk eines irdischen Wesens, sondern durch den feierlichen Beschluß des unsterblichen Schicksals und trotz der Intervention ewiger und weltumspannender Gestalten zugunsten meines Fahrrades, daß ich, Giovannino, mich am 10. Juni 1929 zu Fuß in die Schule begeben und so die Erzählung meines Lebens mit einer höchst bedeutungsvollen Episode beginnen mußte.

Das Schloß

    Dank dem eingangs erwähnten Zwischenfall hatte ich die sechstausend Meter, die unser Haus von dem Gebäude des Lyzeums trennen, ausnahmsweise einmal zu Fuß zurückzulegen.
    Unterwegs blieb ich mindestens hundertmal stehen; ich sah auf das Gras, auf das reife Getreide, ich schleuderte manchen Stein gegen die Isolatoren der Telegraphenleitung. Ich stand knapp vor der Vollendung meines vierundzwanzigsten Lebensjahres, und auch ich hatte das Recht, mein Leben zu leben.
    Herr Luigi weiß nichts von diesen elementaren Notwendigkeiten. Das Alter, die Geschäfte und schlechte Lektüre haben ihn für die Psychologie unempfänglich gemacht. Überdies hat er nicht das geringste Vertrauen zu seinem Sohn, und dies betrübt mich, vor allem wegen des Schlosses.
    Herr Luigi steht jeden Morgen, Sonn- und Feiertage ausgenommen, um 8 Uhr 40 an der Gartentür und alarmiert mich mit einem Pfiff. Vor seinen Augen besteige ich das Fahrrad. Er sieht nach, ob alles in Ordnung ist, kontrolliert die Härte der Pneus, das Funktionieren der Bremsen und der Klingel; dann läßt er das Schloß aufspringen. Und ich bin tiefbetrübt — nicht etwa, weil das Schloß gewaltige Ausmaße hätte, nein, es ist von gefälligem Format und stört weiter nicht —, sondern wegen der Tatsache, daß dieses Schloß, wenn es zuschnappt, in die letzten Glieder einer Stahlkette greift, deren unteres Ende zwischen den Sattelfedern durchgeht und deren oberes Ende durch eine Art Knopfloch an der Taille meiner Hose gezogen wird. Dies aber bedeutet, daß ich mit meinem Fahrrad fest verbunden bin. Ich könnte zwar ohne Schwierigkeiten das Knopfloch durchreißen und mich befreien; doch wie sollte ich das am Abend rechtfertigen? Nur im Fall wirklicher Gefahr kann ich vom Fahrrad herunter und muß dann unter Beibringung von Augenzeugen oder irgendeines sichtbaren persönlichen Schadens Bericht erstatten. Die zur Verfügung stehende Zeit ist so bemessen, daß ich rechtzeitig in der Schule ankomme, wenn ich mit gemäßigter Eile in die Pedale trete; bei Regen wird diese Zeit um ein angemessenes Stück verlängert, bei Rückenwind wird sie verkürzt. Ich kann mich also auf dem Schulweg keinen Augenblick aufhalten. Vor dem Gebäude tritt der Schuldiener in Aktion, der mich mittels eines zweiten Schlüssels vom Fahrrad abmontiert und zu sofortigem Betreten der Klasse veranlaßt.
    Herr Luigi hat kein Vertrauen zu seinem Sohn; die mißliche Geschichte mit dem Schloß ist ein klarer Beweis dafür, und diese Geschichte dauert nun schon ein ganzes Schuljahr. Herr Luigi hat es sich nämlich in den Kopf gesetzt, daß ich dieses Lyzeum, dem ich so sehr zugetan bin, verlassen soll. Nach seiner Meinung sind neun Jahre mehr als ausreichend, um das Lehrziel der drei Klassen zu erreichen. Herr Luigi hat bezüglich dieses Punktes wenig angenehme Ausdrücke gebraucht; er hat sogar gedroht, mich in eine Erziehungsanstalt zu stecken, falls ich nicht in diesem Jahr bei der Reifeprüfung durchkomme. Ich werde durchkommen, aber wie soll ich das Margherita beibringen?
    Margherita wird meinen, daß ich durchkomme, weil ich sie nicht mehr liebe, weil ich ihrer überdrüssig bin, weil ich sie verlassen will. Ich habe ihr geschworen, ihretwegen mein ganzes Leben auf dem Lyzeum zu bleiben. Herr Luigi will aber nicht, daß ich eine Klasse länger als drei Jahre besuche.
    Heute bin ich also mit Verspätung und ohne Schloß in die Schule gekommen. Mit erheblicher Verspätung — denn alle waren schon im Begriff, zum Mittagessen zu gehen.
    Margherita hat mich gleich erblickt und mich sehr besorgt angesehen.

    Nachmittags trafen wir einander im Park.
    Margherita spricht wenig; sie ist ein Tatmensch. Die Frau, die das Schicksal mir zugedacht hat, ist schlank, hat sehr große schwarze Augen und noch schwärzere Haare. Sie ist vierundzwanzig Jahre alt wie ich und am selben Tag im Mai geboren, als der liebe Gott aus einem Windhauch zwei Seelen machte, um sie auf die Erde zu schicken.
    Wir lieben einander seit neun Jahren. Wir haben
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