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Enthuellungen eines Familienvaters

Enthuellungen eines Familienvaters

Titel: Enthuellungen eines Familienvaters
Autoren: Giovannino Guareschi
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Geschenk. Ich zog hinfort, wenn es regnete, ein paar Überschuhe mit vielerlei Löchern an, und das Wasser drang in kalten kleinen Gießbächen hinein und kam warm wieder heraus; aber es waren Überschuhe aus der Vorkriegszeit, und hätte ich gesagt, daß sie Wasser durchließen, so hätte mein Vater mir gewiß geantwortet, daran sei nur das schlechte Wasser der Nachkriegszeit schuld, das Wasser der Vorkriegszeit wäre niemals eingedrungen. Mit fünfzehn Jahren bekam ich von Herrn Luigi feierlich sein Fahrrad. „Bedenke, es ist ein Stück aus der Vorkriegszeit! Hüte es wie einen kleinen Schatz, denn solches Material gibt es heute nicht mehr!“ Es schien eher der Sockel eines Monuments nach den Richtlinien des Ingenieurs Eiffel als ein Fahrrad zu sein. Als mir gleich die Vordergabel brach, war das natürlich die Schuld der tadelnswerten Nachkriegsstraßen. Wenn ich mit einer einfachen Beule davonkam, war es hingegen das Verdienst meines vortrefflichen Vorkriegskopfes.
    Mit zwanzig Jahren bekam ich Herrn Luigis Rasiermesser. „Einen Stahl von solcher Härte gibt es heute nicht mehr; er würde soviel kosten wie Platin oder Radium.“ Auch von Spezialisten geschliffen, tat dieses Werkzeug mehr als die Haare an ihrem unteren Ende abzuschneiden, wie es die Gewohnheit jedes Rasiermessers ist; es packte sie an der Taille, wie es die Kämpfer im griechisch-römischen Ringkampf zu tun pflegten, zerrte heftig an ihnen und riß sie schließlich mit der ganzen Wurzel aus. Ich hatte einen minderwertigen Nachkriegsbart und wurde nur dank meiner ausgezeichneten Vorkriegshaut vor Schaden bewahrt.
    Und jetzt schenkt mir Herr Luigi sein famoses Vorkriegsgewehr. Herr Luigi ist befriedigt; während ich darauf warte, eine Anstellung zu finden, darf ich nach Belieben und ohne Schloß herumfahren.
    Aber ich bin betrübt. Das Gewehr könnte ich ja im Garten unter dem wilden Rosenbusch vergraben, doch nie wieder werde ich in mein teures altes Lyzeum zurückkehren können, wo ich neun Jahre hindurch jeden Tag Margherita so traulich kennengelernt habe.
    Bei den schriftlichen Prüfungen war ich von Margherita nur durch den schmalen Zwischenraum des Ganges getrennt. Wie oft haben wir einander in die Augen geblickt!
    Ästhetische Analyse? Geschichtliches Thema? Wer wußte, worum es sich handelte? Ich dachte ununterbrochen an Margherita; und schließlich weckte mich eine rauhe Stimme: „Abgeben, abgeben! Die Zeit ist um!“
    Ich schaute um mich. Alle waren fortgegangen, zurückgeblieben waren nur ich und das süße Mädchen, das mit mir geschwisterlich die neun Jahre der drei Klassen geteilt hatte. Ich gab beschriebene Blätter ab, ohne sie auch nur anzusehen, denn ich hatte mich entschlossen: ich würde mich noch einmal durchfallen lassen. Herr Luigi sollte die Partie auch diesmal verlieren; die Liebe würde sie gewinnen.
    Indessen hat doch Herr Luigi gewonnen, denn ich wurde das Opfer meines Unterbewußtseins, meines so tückischen, höchst zügellosen Unterbewußtseins. Wir alle haben ein Unterbewußtsein. Jeder Mensch führt es hinten mit sich wie das Auto den Ersatzreifen; und genau so tritt das Unterbewußtsein in Aktion, wenn irgendwo aus irgendeiner Ursache die Luft ausgeht. Unter normalen Umständen schläft das Unterbewußtsein, wenn wir wach sind, und wacht, während wir schlafen. Aber mein Unterbewußtsein unterscheidet sich von allen anderen. Es irrt sich im Turnus, es wacht, während ich wache, und schläft, wenn ich schlafe. So bin ich, wenn ich schlafe, vollkommen dem Zufall ausgeliefert; wache ich jedoch, bin ich ein Unglücklicher, der höllisch aufpassen muß, weil sonst zum Beispiel ein ungezogenes Unterbewußtsein, das sich neun Jahre lang um alles gekümmert hat, was die Lehrer sagen, während ich an Margherita dachte, meine Zerstreutheit ausnützt und mich Blätter um Blätter mit so kostbaren Texten vollschreiben läßt, daß sie mich vieler Auszeichnungen und Glückwünsche würdig machten. So wurde ich verraten und mit Stimmeneinheit in allen Gegenständen für reif erklärt, weil mich das perfide Unterbewußtsein dann auch noch während der mündlichen Prüfungen tyrannisiert hat.
    „Erklären Sie mir den Vorgang bei der Erzeugung der Schwefelsäure“, fragte mich der Chemieprofessor.
    „Wie werde ich es anstellen, Margherita jeden Tag zu treffen, wenn wir die Schule verlassen müssen?“ fragte indessen ich mich, indem ich ins Leere starrte.
    „Ausgezeichnet!“ hörte ich kurz darauf den Professor ausrufen.
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