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Enthuellungen eines Familienvaters

Enthuellungen eines Familienvaters

Titel: Enthuellungen eines Familienvaters
Autoren: Giovannino Guareschi
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„Sie wissen ja mehr als genug, junger Mann; ich beglückwünsche Sie!“ Treulos bist du, Unterbewußtsein! Und egoistisch noch dazu. Denn obwohl mit Stimmeneinheit für reif erklärt, kann ich kein Wort Latein oder Griechisch, verstehe nicht das geringste von Algebra und bin nicht in der Lage, einen Logarithmus von einem Epigramm zu unterscheiden. Vor der Tafel mit den Prüfungsergebnissen haben Margherita und ich mit einer letzten Hoffnung langsam alle Namen gelesen. Durchgekommen! Beide durchgekommen. Ich fühlte, wie Margheritas Hand die meine drückte. Im Unglück vereint. Gesenkten Hauptes gingen wir fort und setzten uns auf die Bank am Ende der Allee, von der man in der Ferne, von grünem Laub umrahmt wie auf einem Ehrendiplom, das Gebäude des Lyzeums sah.
    Ade, alter Bau mit allen deinen von hunderttausend Messerklingen durchfurchten Bänken, mit deiner Glocke, die jeden Tag tausend jungen Leuten den blauen Himmel entreißt, weil die jungen Leute lernen müssen, daß Homer vielleicht blind war, daß Tullius Hostilius auf Numa Pompilius folgte, daß die Formel der Schwefelsäure so und so lautet. Ade, Herr Latein- und Griechischprofessor, der du uns die „Consecutio temporum“ und den Ariost beigebracht und den von hundert Schülergenerationen abgenützten Wörtern die jugendliche Poesie der vergangenen Jahrtausende wiedergegeben hast; da bekamen alte Knochen wieder Fleisch, und auch Giovannino, der Esel und ungezogene Schlingel, dachte mit Ehrfurcht an die Herren, die unter Säulen wandeln, Lorbeerkränze auf dem Haupte tragend.
    Ade, altes Lyzeum!
    Herr Luigi ist zufrieden und hat mir sein Vorkriegsgewehr geschenkt; aber Herr Luigi hat einen Sohn, der die Reifeprüfung bestanden hat und sehr unglücklich ist.
    Auf der Bank erwartete ich mit Margherita den Sonnenuntergang. Als die ersten Sterne des Abends erglommen, lächelte das süßeste Mädchen, das der Himmel je verschwenderisch über meine Mittelschule ausgoß, melancholisch, und ihre großen schwarzen Augen sagten mir: „Giovannino, Giovannino...“

Der Weg ins Leben

    „Kauf dir ein Pferd, Giovannino, und geh nach Argentinien. Dort ist Platz für alle, und wenn du schlau bist, kannst du dein Glück machen“, sagte Großmutter Giuseppina und gab mir fünfzehn Cen-tesimi.
    Ich dankte Großmutter Giuseppina und erklärte ihr, es schiene mir nicht so dringend, fortzugehen und in Argentinien mein Glück zu suchen.
    „Doch, du wirst fortgehen müssen, Giovannino“, erklärte Großmutter Giuseppina mit Tränen in den Augen.
    Wenn es schon seltsam erscheinen mag, daß eine alte Frau eine so persönliche Meinung in geographischen Dingen hat, wird es noch seltsamer erscheinen, daß sie fünfzehn Centesimi als ausreichend für den Ankauf eines Pferdes ansieht. Ein Pferd, mag es noch so heruntergekommen sein, ist immer ein Pferd; auch wenn es nur ein Bein hat, ist es immer noch ein Stück Vieh, das auf dem Markt unweigerlich einen höheren Wert als fünfzehn Centesimi darstellt. Wenn aber ein Pferd immer ein Pferd ist, ist es ebenso wahr, daß Großmutter Giuseppina immer Großmutter Giuseppina ist. Großmutter Giuseppina ist zweiundneunzig Jahre alt, lebt seit dreißig Jahren im Lehnstuhl und verläßt nie das Zimmer. Ihre Beine sind es müde geworden, durch das Haus zu wandern, aber im übrigen ist Großmutter Giuseppina durchaus im Besitz ihrer Kräfte. Sie liest nur die Bibel, aber sie liest sie ohne Brille; sie ist noch imstande, wichtige Additionen im Kopf auszuführen, und immer gelingt es ihr, Herrn Luigi zu demonstrieren, daß er ein tadelnswerter Vater beziehungsweise Gatte beziehungsweise Sohn ist. Großmutter Giuseppina verließ zusammen mit ihrem Gatten, dem Großvater Francesco, am 6. Februar 1887 das Haus. Sie begleitete ihn zum Familiengrab, sorgte dafür, daß der Sarg mit Zartgefühl hinabgelassen wurde, daß der große marmorne Grabstein genau wieder auf seinen Platz gestellt wurde und daß man die Blumen in passender Weise verteilte. Dann kehrte sie nach Hause zurück und ging nie wieder aus.
    Großmutter Giuseppina war damals fünfzig Jahre alt, Herr Luigi zweiundzwanzig und meine Mutter, Frau Flaminia, zwanzig. Großmutter Giuseppina blieb uneingeschränkte Verwalterin der häuslichen Geschäfte: sie nahm die Aktiven von Herrn Luigi an sich und verabfolgte jeden Morgen an Frau Flaminia das für den Haushalt nötige Geld.
    Zwei Jahre hindurch funktionierte alles ausgezeichnet, aber eines Tages legte sich Großmutter Giuseppina mit
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