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Enthuellungen eines Familienvaters

Enthuellungen eines Familienvaters

Titel: Enthuellungen eines Familienvaters
Autoren: Giovannino Guareschi
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von einem ausgewanderten Mitbürger. Indigniert schütteln sie den Kopf. „Der Soundso hat eine Komödie geschrieben?“ sagen sie. „Unmöglich! Ich habe ihn doch mit eigenen Augen sieben Jahre hindurch auf der Piazza Kaffee trinken gesehen!“ Sie lesen in der Zeitung, daß der Mitbürger P. Mitglied der Akademie geworden ist. Sie sind zutiefst betroffen. „Unmöglich! Drei Jahre lang hat er sich beim selben Friseur rasieren lassen wie ich!“ Alles wird unmöglich in dieser köstlichen Kleinstadt; man hat dich acht Jahre deine Zigaretten kaufen gesehen, wie kannst du etwas werden? Du bist ein Mitbürger und sollst einfach ein Mitbürger bleiben.
    „Du wirst arbeiten“, hat Margherita gesagt. Das ist schnell gesagt, doch man müßte es nach dem Rezept der Großmutter Giuseppina machen: aufs Pferd steigen und nach Argentinien reiten.
    Oder aber nach Mailand gehen.
    Im Arbeitszimmer des Herrn Luigi hängt seit dreiundzwanzig Jahren ein Plakat der Weltausstellung des Jahres 1906. Es stellt eine Lokomotive dar, die eben aus einem Tunnel in eine unermeßliche Ebene hinausfahren will. Auf der Vorderseite der Lokomotive kauern zwei knallrote Menschen, deren einer einen geflügelten Helm auf dem Kopf trägt.
    Bis zu meinem vierten Lebensjahr stellten diese Männer dank der listigen Überredungskunst der Frau Flaminia für mich zwei Teufel dar, die aus der Hölle gekommen waren, um unartige Kinder zu fressen.
    Vom fünften bis zum zehnten Jahr verursachten mir die beiden Männer heftiges Unbehagen; denn da man nur ihre Rückansicht sah, war es mir unmöglich, ihnen zwei so majestätische Schnurrbärte aufzumalen wie anderen Bildern im Haus.
    Vom elften bis zum vierzehnten Jahr verkörperten die zwei Knallroten dank dem Eingreifen Herrn Luigis für mich die Industrie und den Fortschritt, welche dank der Durchbohrung des Simplon der Zivilisation einen neuen Weg in die lombardische Ebene eröffnet hatten.
    Als ich Margherita kennenlernte, begannen die beiden roten Menschen angesichts unserer besonderen Umstände für mich Margherita und Giovannino darzustellen, die mittels einer Lokomotive den finsteren Tunnel der Heimatstadt verließen und nach Mailand fuhren, das man undeutlich an der Horizontlinie der unendlichen Ebene erblickt.
    Vor einigen Tagen rollte ich das Plakat sorgfältig zusammen und brachte es Margherita. Ich setzte ihr meine neueste Interpretation auseinander. Die süße Gefährtin meiner Träume betrachtete aufmerksam die Allegorie.
    „Ich soll dieser halbverborgene rote Herr links sein und du der Herr rechts?“ Sie schüttelte den Kopf. „Wir können doch nicht vollkommen nackt reisen! Und warum trägst du einen Hut mit Hörnern?“
    Ich erklärte ihr, daß allegorische Figuren immer nackt reisen und daß es sich nicht um Hörner handle, sondern um Flügel, wie man sie dem Merkur zuschrieb.
    Das süße Geschöpf, welches das Schicksal in mein Leben gestellt hat, um meinen Gedanken Nahrung zu geben, schüttelte den Kopf. „Auf einer Lokomotive sitzend zu reisen, ist gefährlich und widerspricht den Vorschriften. Giovannino, finde bitte eine Allegorie, die einen bekleideten Jüngling darstellt, der eine Anstellung findet und schnell läuft, um es einem Fräulein, das ihn gern hat, mitzuteilen!“
    Es ist nutzlos! Wenn Margherita sich etwas in den Kopf setzt, ist sie davon nicht abzubringen. Ich begab mich daher auf der Suche nach einer halbwegs einträglichen Stellung wieder in die Vorzimmer der öffentlichen und privaten Büros der kleinen Provinzstadt, in der jedermann alles über jeden weiß, welche Zigaretten du rauchst, ob du den Kaffee zuckerst oder nicht, einer Stadt, wo du nichts sein kannst als Mitbürger.
    Wie lange wird dieser unerfreuliche Zustand noch dauern? Ich weiß es nicht, und das bedrückt mich, denn ich sehe, wie die Schar derer anwächst, die mich liebevoll überwachen. Herr Luigi hat seine besten Freunde gebeten, sich Giovanninos ein wenig anzunehmen. Frau Flaminia hat ihre besten Freundinnen gebeten, sich Giovanninos ein wenig anzunehmen. Margherita hat ihre bösesten Schul-kolleginnen mobilisiert, die sich Giovanninos ein wenig annehmen sollen. Die Wirtin des Zimmers, wo ich jede Nacht ruhe, hat ihre Bekannten gebeten, sie möchten doch in Erfahrung bringen, was dieser Giovannino eigentlich treibt; sie will in kein schiefes Licht kommen.
    Jeden Tag vergrößert sich die Schar. Jeder meiner Schritte ist bewacht, aber ich spreche mit Margherita nicht darüber. Sonst würde das
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