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Das Karussell der Spitzbuben

Das Karussell der Spitzbuben

Titel: Das Karussell der Spitzbuben
Autoren: Wolfgang Ecke
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Die Geisterstimme

    Es war ein Mittwoch, und man schrieb den 24. Juni.
    Jerry befand sich auf dem Weg zu seinem Hotel. Beschwingt schlenderte er dahin, sah in dieses und jenes Schaufenster und stellte dabei ein ums andere Mal fest, daß hier das meiste eine Spur billiger zu haben war als im heimischen London.
    Und da geschah es...
    Eine Stimme hatte ihn zusammenfahren lassen, war ihm schmerzhaft wie ein glühender Pfeil in den Körper gedrungen. Eine Geisterstimme, die ihn lähmte und sekundenlang zur Bewegungsunfähigkeit verdammte!
    Er zwang sich zur Beherrschung und war bemüht, seine Harmlosigkeit durch ein besonders intensives Studium des Schaufensters zu seiner Linken zu dokumentieren. Er trat ganz nah heran und blickte auf die Auslage. Ein Hutgeschäft...
    Unübersehbare Mengen aufgereihter Hüte, Mützen und Kappen. Das Muster Karo überwog dabei.
    Brownlaker jedoch sah die Kopfschmuckparade nicht. Er starrte nur auf die beiden Männer, die sich in der Scheibe spiegelten und die sich angeregt über einen dritten Mann namens Stoke unterhielten.
    Ob er es wollte oder nicht, wie von einem unsichtbaren Magneten angezogen, wandte er sich der „Stimme“ zu. Einen Atemzug lang kreuzten sich seine Blicke mit denen des Mannes im hellen Glencheckanzug und dem Sommermantel über dem Arm.
    Jerry Brownlaker sah in ein ihm fremdes Gesicht.
    Mit einer eckig wirkenden Bewegung setzte er seinen Weg fort, beherrscht von dem Gefühl, daß seine Beine taten, was er gar nicht wollte.
    Als er von der Princes Street abbog, wandte er seinen Kopf noch einmal zurück und zuckte erneut zusammen. War es Zufall, daß der Mann mit dem Mantel genau in jenem Moment ebenfalls in seine Richtung sah?
    Von diesem Augenblick an handelte Jerry Brownlaker wie unter Zwang. Er tastete sich eilig durch die Reihe der geparkten Autos hindurch und schob sich gebückt zur Kreuzung, wo er durch die Scheiben eines Lieferwagens in die Princes Street zurückspähte.

    Die „Stimme“ verabschiedete sich gerade von dem zweiten Mann und wandte sich dann der Fahrbahn zu. Bevor er sie jedoch mit raschen Sprüngen zu überqueren begann, schickte er noch einen Blick zu jenem Lieferwagen, hinter dem Jerry Brownlaker stand. Der hielt zum drittenmal den Atem an. Wenig später konnte er sehen, wie der andere einen Tabakwarenladen betrat.
    „He, Mister!“ Brownlaker spürte eine Hand auf seiner Schulter. Er fuhr erschrocken herum und sah in das lachende Gesicht eines Mannes, der in einem grünen Arbeitskittel steckte und eine leere Holzkiste in der Hand hielt. „Spielen Sie hier Trapper und Indianer?“
    Jerry quälte sich ein Lächeln ab und nickte zustimmend: „So was Ähnliches. Ich bin soeben meinem Enkel entwischt.“
    „Tut mir leid, aber ich muß Ihr Versteck entführen.“ Der Fahrer schob die Tür zur Ladefläche auf und warf die Kiste hinein.
    „Hm, ich bin kein Unmensch“, grinste er anschließend und forderte Brownlaker mit einer einladenden Geste zum Einsteigen auf, „wenn Sie wollen, nehme ich Sie ein Stück mit.“
    Jerry wehrte erschrocken ab. „Aber nein, wo denken Sie hin, trotzdem vielen Dank für Ihr Angebot!“ Er winkte dem Fahrer grüßend zu und entfernte sich. Auf einem ziemlichen Umweg gelangte er fast zehn Minuten später ebenfalls vor dem Tabakwarenladen an.
    Es handelte sich bei diesem um eines jener winzigen Geschäfte, bei denen die Laufkundschaft wichtiger ist als die Stammkunden.
    Jerry Brownlaker bewegte sich im Zeitlupentempo an der Tür vorbei und stellte dabei fest, daß der Laden leer war. Das heißt, eine ältere Frau saß hinter dem Ladentisch und strickte mit ausdrucksloser Miene.
    Er trat ein.
    Gleichzeitig legte die Frau das Strickzeug zur Seite. Jerry Brownlakers Mund war trocken, und er mußte sich räuspern, um überhaupt sprechen zu können. Er versuchte ein Lächeln, bevor er sprach.
    „Ja, Sir?“ kam ihm die Frau zuvor und musterte ihn, wie man einen fremden Kunden mustert, der im Vorbeigehen ein Päckchen Zigaretten kauft.
    Jerry gab sich einen Ruck. „Ich... ich, ja, kaufen wollte ich eigentlich nichts, ich... ich habe nur eine Frage, wenn Sie erlauben, Madam!“ Brownlaker kam sich vor wie ein Kind, das man beim Bonbonstehlen ertappt hatte. Und er ärgerte sich darüber.
    „Bitte, Sir, fragen Sie!“ Das kurze Aufblitzen des Mißtrauens in den Augen der Tabakhändlerin wurde abgelöst von Neugier. Denn nach einem Bettler sah der Mann nicht gerade aus.
    „Da war vorhin ein Gentleman hier in Ihrem
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