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Enthuellungen eines Familienvaters

Enthuellungen eines Familienvaters

Titel: Enthuellungen eines Familienvaters
Autoren: Giovannino Guareschi
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gegenwärtig im Bett, deine Schwester ist neunzehn, aber sie hat im vergangenen Jahr geheiratet und zählt nicht. Insgesamt sind es einhundertfünfundneunzig Jahre.
    Stimmt’s?“
    Ich nahm einen Zettel und einen Bleistift und rechnete nach. „Genau einhundertfünfundneunzig“, bestätigte ich. Herr Luigi nahm eine ernste Miene an, sah auf Frau Flaminia und sagte mir bedeutsam: „Giovannino, suche mich zu verstehen. Wenn ich auch unermüdlich arbeite, sehe ich mich nicht mehr imstande, das Gewicht dieser einhundertfünfundneunzig Jahre auf meine Schultern zu nehmen. Im äußersten Fall könnte es mir gelingen, einhunderteinundsiebzig zu tragen.“
    Ich nahm einen anderen Zettel und führte die Subtraktion durch: einhundertfünfundneunzig weniger einhunderteinundsiebzig ist gleich vierundzwanzig.
    „Also vierundzwanzig Jahre zuviel“, sagte ich.
    „Genau, lieber Giovannino; deine vierundzwanzig Jahre!“
    „Bist auch du einverstanden, Mama?“ fragte ich.
    „Vollkommen einverstanden“, antwortete Frau Flaminia. „Es ist Zeit, daß du dir deinen Lebensunterhalt verdienst. Geh in die Stadt, nimm dir ein Zimmer, lauf herum, finde etwas, arbeite, wie es alle machen. Es ist unzulässig, daß sich ein Mann von vierundzwanzig Jahren weiterhin zu Hause herumtreibt. Deine Koffer sind fertig. Hier sind fünfhundert Lire, die es dir erlauben werden, Nahrung und Unterkunft zu finden, bis du eine anständig bezahlte Stelle hast. Du wirst in dieses Haus erst zurückkehren, wenn du dank deinem guten Willen die Achtung deiner Vorgesetzten erringen konntest.“
    Herr Luigi erhob sich. „Giovannino, dein Vater billigt vollkommen die Worte deiner Mutter.“
    „Hol deine Koffer“, sagte Frau Flaminia. Ich folgte ihr in mein Zimmer.
    Kaum angelangt, begann Frau Flaminia zu weinen. „Dein Vater ist grausam!“ schluchzte sie. „Ich mußte dir sagen, was ich dir gesagt habe, weil er es gewollt hat. Aber ich bin deine Mutter und verlasse dich nicht. Ich will dich täglich sehen, Giovannino. Komm jeden Nachmittag gegen zwei, wenn dein Vater schläft; ich werde dir das Essen im Gartenhäuschen bereiten. Aber versäume es nicht, wenn du mir keinen Kummer zufügen willst.“
    Frau Flaminia umarmte mich, und ich ging mit meinem Köfferchen hinunter.
    Am Gartentor traf ich Herrn Luigi.
    „Giovannino“, sagte er ernst, „du kennst deine Mutter und weißt, wie sie ist, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat. Ich habe mit dir so verfahren müssen, um ihr nicht zuwiderzuhandeln. Aber ich bin dein Vater und will dich jeden Tag sehen. Komm jeden Abend gegen acht, wenn deine Mutter zu Bett geht; ich werde dafür sorgen, daß du das Abendessen im Gartenhäuschen bereit findest. Sieh nur zu, daß du es nicht versäumst, wenn du mich nicht beunruhigen willst.“
    Herr Luigi drückte mir die Hand.
    Ich bestieg mein Fahrrad und radelte in die Stadt.
    Margherita erwartete mich an der Ecke ihrer Straße.
    Ich erstattete ihr kurz Bericht.
    „Margherita, sie haben mich verstoßen, den Nachmittag und Abend ausgenommen. In der Zwischenzeit werde ich arbeiten müssen. Was soll ich tun?“
    „Du wirst arbeiten“, erwiderte Margherita.
    „Und wie werde ich dich treffen?“
    „Das wirst du schon sehen“, antwortete Margherita lächelnd. Und .ihre großen schwärzen Augen sagten mir: „Giovannino, Giovannino...“

Das Plakat

    „Du wirst arbeiten“, sagte das süße Geschöpf, welches der Himmel mit vollen Händen auf meinen schmalen Lebenspfad ausgestreut hatte. Das ist schnell gesagt. Doch um arbeiten zu können, muß man vor allem eine Arbeit finden; und in P. Arbeit zu finden, ist schwierig.
    P. ist eine eigenartige Provinzstadt mit gelben Häusern, vielen öffentlichen Platanen, vielen Fresken gegen Eintrittsgebühr und mit vielen Tischen auf der Piazza. Alle kennen einander, studieren einander, überwachen einander aufmerksam. Jeder weiß alles über dich. Du gehst zum Direktor eines Betriebes und unterbreitest ihm deinen Wunsch, in seinen Diensten einige Tätigkeit zu entfalten. Erstaunt starrt er dich an. „Sie? Ich habe Sie doch mindestens zweitausendmal im Kino gesehen und bin Ihnen durch Jahre und Jahre beim Friseur begegnet. Ich weiß, daß Sie im Sommer Erdbeereis mit Schlagrahm essen. Unmöglich!“
    So reden sie in den kleinen Städten. Die Tatsache, daß man dasselbe Café besucht, die Hemden im selben Hemdengeschäft kauft, jeden Abend in derselben Straße spazierengeht, macht alles unmöglich. In der Zeitung lesen sie
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