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Entfuhrt

Entfuhrt

Titel: Entfuhrt
Autoren: Koppel Hans
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Raum war mit einer Miniküche ausgestattet, wie in Bauwagen oder Studentenappartements. Ein Herd mit zwei Kochplatten, ein Spülbecken und ein Kühlschrank mit Gefrierfach. Ylva glaubte sich zu erinnern, dass die Dinger Kitchenette hießen. Sicher war sie sich nicht, und sie wusste auch nicht, warum sie in dieser abwegigen Situation, in der sie sich befand, darüber nachdachte.
    Der Mann kehrte zurück, reichte ihr das Glas und ging auf den Fernseher zu.
    »Warum bin ich hier?«, fragte Ylva.
    »Ich denke, das weißt du.«
    Ylva drehte sich um und versuchte, ihre linke Hand aus der Handschelle zu ziehen.
    »Wie gefällt dir das Bild?«
    Der Mann deutete auf den Fernsehmonitor.
    »Ich verstehe nicht«, sagte Ylva.
    »Etwas unscharf, aber das liegt daran, dass das Bild gezoomt ist. Du weißt das vielleicht jetzt noch nicht zu schätzen, aber warte nur ein paar Tage oder eine Woche. Dann sieht es schon ganz anders aus. Ich kann mir vorstellen, dass du dann deine Uhr danach stellst. Einfach dasitzen und zuschauen, ohne die Möglichkeit einzugreifen.
Aber das ist für dich ja wohl kein Problem? Danebenzustehen und zuzuschauen, meine ich.«
    Ylva sah ihn besorgt an.
    »Ich verstehe nicht, was Sie meinen.«
    Der Mann schlug ihr mit dem Handrücken ins Gesicht. Der Schlag kam plötzlich und ohne Vorwarnung. Ylva stieg die Röte ins Gesicht, aber es war mehr das Erstaunen über die Gewalt als der Schmerz, was sie nach Luft schnappen ließ.
    »Stell dich nicht dumm«, sagte der Mann. »Wir wissen genau, was passiert ist. Morgan hat alles erzählt. Er hat auf dem Sterbebett gebeichtet. Ausführlich und detailliert. Bis dahin hatten wir uns jeden Tag Vorwürfe gemacht. Und dann hat sich gezeigt, dass ihr es getan habt. Die ganze Zeit ihr.«
    Ylva zitterte. Ihre Augen brannten, und sie blinzelte unentwegt. Ihre Unterlippe bebte.
    »Glauben Sie etwa, dass mir das nicht auch zu schaffen macht?«, sagte sie leise. »Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht …«
    »Es macht dir zu schaffen?«
    Die Frau war durch die Tür gekommen.
    »Es macht … dir zu schaffen?«, wiederholte sie, trat auf das Bett zu und starrte Ylva an, die automatisch die Schultern hochzog.
    Als sie schließlich aufschaute, war ihr Blick flehend.
    »Wenn ich eine Sache in meinem Leben ändern könnte, eine einzige Sache …«
    »Morgan hatte nur noch wenige Tage zu leben«, meinte
der Mann. »Das hat mich fast in den Wahnsinn getrieben vor Wut. Dass er so glimpflich davonkommt. Aber ich vermute, dass du das über Anders gelesen hast?«
    Ylva konnte nicht folgen.
    »Der Hammermord in der Fjällgatan«, sagte der Mann. »Nicht? Na ja, wahrscheinlich hält man sich für wichtiger, als man eigentlich ist, wenn man selber beteiligt ist. Aber immerhin hat die Tat ein ganz eigenes Etikett bekommen: der Hammermord. Darüber stand tatsächlich einiges in den Zeitungen.«

    Mike und Ylva hatten sich bei der Arbeit kennengelernt. Natürlich. Dort lernten sich Leute in der Regel kennen, in nüchternem Zustand und mit einer Aufgabe befasst. Mike war frisch von einer Arzneimittelfirma in Stockholm angestellt worden. Ylva arbeitete im Marketing und sollte ihn für die Personalzeitschrift interviewen.
    Es handelte sich auf beiden Seiten nicht um die große Leidenschaft, aber eine gewisse Attraktion war da, und sie hatten ihren Spaß zusammen. Mikes Kindheit war im Vergleich zu Ylvas glücklich gewesen. Sie hatte ihren leiblichen Vater nie kennengelernt, und ihre Mutter war Alkoholikerin gewesen. Im Alter von sechs Jahren war sie zu Pflegeeltern gekommen. Sie hatte sie als aufbrausender Teenager verlassen und seither keinen Kontakt mehr zu ihnen.
    Mike wollte die Stockholmer Schären kennenlernen,
von denen sein Vater so geschwärmt hatte. Sie kauften sich ein sechs Meter langes Kunststoffboot, in dem sie drei Sommer verbrachten. Mike las die Seekarte, und Ylva saß am Ruder. In jeder geschützten Bucht zwischen Furusund und Nynäshamn schliefen sie miteinander.
    Als Ylva schwanger wurde, versprachen sie sich hoch und heilig, dass sich an ihrem bisherigen Leben nichts ändern würde. Nichts sollte sie behindern, am allerwenigsten ein kleines Kind, das sich mühelos überallhin mitnehmen ließ.
    Noch ehe Sanna sechs Monate alt war, war das Boot verkauft und das Geld in eine Eigentumswohnung investiert worden.
    Ein Jahr später bekam Mike eine bessere Arbeit in seiner alten Heimatstadt und zog zur Freude seiner Familie mit Frau und Tochter nach Schonen.
    Das Leben mit Kind
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