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Entfuhrt

Entfuhrt

Titel: Entfuhrt
Autoren: Koppel Hans
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brachte Veränderungen mit sich, ein neuer Lebensabschnitt begann. Statt einer Monatskarte für den öffentlichen Nahverkehr gab es einen Dienstwagen, statt Abende in der Kneipe zu verbringen, luden sie andere Paare zu sich ein, und statt auf einer Matratze auf dem Fußboden schliefen sie in einem Doppelbett, aber an Ausschlafen war nicht mehr zu denken. Die Pornofilme, für die sie sich beide begeistert hatten, waren weggeräumt worden, nachdem Ylva der damals dreijährigen Sanna schlaftrunken dabei geholfen hatte, das Videogerät einzuschalten, und statt eines Bärenzeichentrickfilms ein Blowjob auf dem Bildschirm zu sehen gewesen war.

    Ylva hatte den Fernseher schleunigst ausgeschaltet.
    »Was war denn das?«, hatte sie verlegen gerufen.
    »Eis!«, hatte Sanna gemeint. Eine naheliegende Assoziation.
    Es war ein anderes Leben, fern von den Sommern auf dem Segelboot. Aber es war ein gutes Leben.

8. KAPITEL
    »Nein, nein, nein, Morgan ist tot«, meinte Jörgen Petersson. »Das weiß ich, weil es mir immer noch peinlich ist, wie sehr ich mich beim Lesen der Todesanzeige gefreut habe. Bauchspeicheldrüsenkrebs, hat nur ein paar Monate gedauert.«
    Calle Collin nickte.
    »Schon möglich«, meinte er. »Aber Anders ist auch tot.«
    »Und wie ist er gestorben?«
    »Er wurde ermordet.«
    »Soll das ein Witz sein?«
    »Nein, das ist mein Ernst. Der Hammermord in der Fjällgatan. Die Zeitungen waren voll davon. Das war Anders.«
    »Hammermord?«, sagte Jörgen und kramte vergeblich in seinem Gedächtnis.
    Calle nickte.
    »Nie gehört«, meinte Jörgen. »Wann war das?«
    »Vor einem halben Jahr etwa.«
    »Du meinst ermordet wie in vorsätzlich töten?«
    »Ja.«
    »Von wem?«

    Calle zuckte mit den Achseln.
    »Ich glaube nicht, dass der Fall aufgeklärt wurde.«
    »Warum hast du mir nichts davon erzählt?«
    »Ich habe es erst kürzlich erfahren.«
    »Bei einer Schlägerei in der Stadt, oder was?«
    »Keine Ahnung.«
    Jörgen schwieg.
    »Unglaublich!«
    »Ja.«
    Jörgen holte tief Luft.
    »Ich kann nicht behaupten, dass es mich mit Trauer erfüllt.«
    Calle wandte das Gesicht ab und hob die Hand.
    »Das geht dann doch etwas weit.«
    Jörgen trank einen Schluck Bier und stellte das Glas wieder ab.
    »Stimmt«, erwiderte er. »Aber es hätte kein größeres Schwein erwischen können, da musst du mir recht geben.«
    »Darüber weißt du nichts«, meinte Calle. »Menschen können sich verändern.«
    »Ach, wirklich?«
    Calle antwortete nicht. Jörgen betrachtete das Klassenfoto und nickte nachdenklich.
    »Morgan und Anders tot«, sagte er. »Dann sind also nur noch Johan und Ylva übrig. Aus der Viererbande ist ein dynamisches Duo geworden.«
    »Viererbande?«
    Calle schüttelte den Kopf.

    »Johan lebt in Afrika«, fuhr er fort.
    »Afrika?«, erwiderte Jörgen. »Was macht er da?«
    »Keine Ahnung. Was machen Westeuropäer in der Dritten Welt? Vermutlich läuft er in komischen Klamotten rum und ist die halbe Zeit betrunken.«
    »Klingt wie ein Tag in den Schären«, meinte Jörgen. »Was macht er beruflich?«
    Calle lehnte sich zurück.
    »Woher soll ich das wissen? Ich habe ihn seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen. Woher dieses plötzliche Interesse? Warum denkst du über diese Klassenekel von früher nach?«
    Jörgen wirkte unglücklich.
    »Als ich das Schülerjahrbuch aufgeschlagen habe, war das wie ein Flashback«, sagte er.
    »Und du hattest das Gefühl, dass du ihnen dein Sparbuch unter die Nase halten willst?«
    »Zumindest einen Kontoauszug. Ich dachte, vielleicht stehe ich ja mal zufällig in der Schlange vor ihnen und vergesse die Quittung im Geldautomaten. Was meinst du?«
    Calle Collin schüttelte lächelnd den Kopf.
    »Begreifst du eigentlich, wie gestört du bist?«
    »Alle anderen werden zu Klassenfesten und Jubiläen eingeladen, nur wir nicht«, meinte Jörgen.
    »Und dafür bin ich zutiefst dankbar«, meinte Calle. »Und das solltest du auch sein. Hast du nicht diesen Film gesehen? Alles wiederholt sich, alle fallen in ihre alten Rollen zurück. Es ist egal, ob man hinter Gittern gesessen oder seine erste Milliarde verdient hat.«

    »Ich dachte, das läuft irgendwie vollautomatisch, über eine Datenbank oder so«, meinte Jörgen zerstreut.
    »Was?«, erwiderte Calle uninteressiert.
    »Die Einladungen«, meinte Jörgen, »zu den Klassenfesten.«
    Calle seufzte laut, trank sein Glas leer und deutete auf Jörgens noch fast halb volles Glas. Dieser nickte. Calle stand auf und ging zur Bar. Jörgen zog das
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