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Entfuhrt

Entfuhrt

Titel: Entfuhrt
Autoren: Koppel Hans
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Fotos, die er angestarrt hatte, aus dem Internet kopiert waren und eine bloggende, alleinerziehende Mutter aus Holland zeigten. Genauso wenig ahnte er, dass der Mann, der ihm auf der Treppe begegnete, einen Hammer in seinem Mantelärmel verbarg.
    Sie erreichten gleichzeitig und aus entgegengesetzter Richtung den unteren Treppenabsatz. Der Mann blieb stehen.
    »Anders?«, sagte er.
    Anders blieb stehen.
    »Erkennst du mich nicht?«, sagte der Mann. »Ich bin Annikas Vater. Du erinnerst dich doch noch an Annika?«
    Anders bekam einen trockenen Mund. Sein eben noch entspannter und erwartungsvoller Gesichtsausdruck war plötzlich starr und gequält.

    »Das ist auch wirklich lange her«, fuhr der Mann fröhlich fort.
    »Ich bin etwas in Eile.«
    Anders hob seine freie Hand und deutete nach oben. Der Mann lächelte, als würde er ihn verstehen, und nickte in Richtung der Blumen.
    »Verabredung?«
    Anders nickte.
    »Ich bin spät dran«, sagte er und versuchte, seine Stimme natürlich klingen zu lassen. »Sonst wäre ich gerne einen Moment stehen geblieben.«
    »Verstehe«, sagte der Mann.
    Er lächelte, machte aber keine Anstalten weiterzugehen. Anders drehte sich unsicher um und stellte den Fuß auf die nächste Treppenstufe.
    »Ich habe mich mit Morgan unterhalten«, sagte der Mann und ließ den Hammer in die behandschuhte Hand gleiten.
    Anders hielt mit dem Rücken zu dem Mann auf der Treppe inne. Er rührte sich nicht.
    »Oder genau genommen hat er sich mit mir unterhalten«, sagte der Mann. »Er hatte viel zu erzählen. Wollte die letzte Chance nutzen, sich auszusprechen. Er war nur noch Haut und Knochen, als ich ihn traf. Vielleicht lag es ja am Morphium, dass er so ins Detail ging, jedenfalls hat er geredet wie ein Wasserfall.«
    Anders drehte sich langsam um. An der Peripherie seines Gesichtsfeldes ahnte er etwas, das sich mit hoher Geschwindigkeit näherte. Zum Wegducken oder schützend
den Arm zu heben war es zu spät. Der Hammer traf seinen Kopf und zerschmetterte den Schädelknochen direkt über der Schläfe. Noch bevor er auf dem Boden aufschlug, verlor er das Bewusstsein.
    Der Mann stellte sich breitbeinig über Anders und hob den Hammer erneut. Die Schläge zwei und drei waren vermutlich tödlich, trotzdem schlug der Mann weiter auf den Liegenden ein, um sich seiner Sache sicher zu sein. Als wollte er alle Eindrücke und Erfahrungen, die Anders in seinem Leben gesammelt hatte, ausradieren und seine gesamte Existenz auslöschen. Der Mann hörte erst mit dem Schlagen auf, als der Hammer in dem Schädelknochen stecken blieb.
    Er ließ ihn stecken, schaute sich hastig um, ging dann die Treppe hinunter und stieg in das wartende Auto. Die Frau fuhr los.
    »War es schwer?«, fragte sie.
    »Überhaupt nicht«, sagte der Mann.

2. KAPITEL
    »Hallo, ich heiße Gösta Lundin und bin emeritierter Professor der Psychologie und Autor des Buches Opfer und Täter , das einige von Ihnen vermutlich gelesen haben werden. Sie brauchen nicht aufzuzeigen, aber trotzdem danke, ich weiß das zu schätzen. Vielen Dank.
    Bevor ich beginne: Wie viele von Ihnen sind bei der Polizei? Jetzt dürfen Sie gerne aufzeigen.
    Gut. Und wie viele Sozialarbeiter sind anwesend?
    Ungefähr die Hälfte. Gut, dann weiß ich Bescheid. Eigentlich ist die Frage irrelevant, da ich den Inhalt meines Vortrages nicht an den Beruf der Zuhörer anpasse. Ich bin einfach nur neugierig. Vermutlich würde ich mich etwas breitbeiniger hinstellen, wenn ich es nur mit Polizisten zu tun hätte, mit skeptischen Polizisten, die die Arme vor der Brust verschränken. Das wäre möglich. Ich weiß nicht.
    Egal. Für den Vortrag heute habe ich die Überschrift gewählt: Wie ist das möglich?
    Diese Frage stellen wir uns oft. Wie ist das möglich? Warum wehren sie sich nicht? Warum fliehen sie nicht?

    Das sind ungefähr dieselben Fragen, die Kinder stellen, wenn sie zum ersten Mal vom Holocaust hören. Wie ist das möglich? Warum haben sie sich nicht gewehrt? Warum sind sie nicht geflohen?
    Lassen Sie uns am anderen Ende beginnen. Bei Adolf Hitler.
    Wie alle wissen, hat sich der schnurrbärtige Österreicher von einer historischen Person in eine mythologische Figur verwandelt. Hitler ist heute ein Referenzrahmen, das Symbol des Bösen in seiner reinsten Form.
    Ich habe nur Befehle ausgeführt ist ein erstarrter Ausdruck, eine Ermahnung an uns, dass wir die Obrigkeit ständig infrage stellen und der eigenen Überzeugung folgen müssen.
    Als das genaue Gegenteil von Adolf
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