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Entfuhrt

Entfuhrt

Titel: Entfuhrt
Autoren: Koppel Hans
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das Datum.«
    »Echt?«
    Mike zeigte es ihr.
    »Die Zahl in dem kleinen Fenster ist das Datum. Heute ist der fünfte Mai, und du hast am zwanzigsten Geburtstag. In fünfzehn Tagen.«
    Sanna nahm diese Information recht unbeeindruckt zur Kenntnis. Armbanduhren waren keine Statussymbole mehr wie früher, stellte Mike fest.
    Mike war nur wenig älter gewesen als seine Tochter jetzt, als seine Eltern mit ihm nach Schweden gezogen waren. Sie hatten gesagt, sie kehrten nach Hause zurück, obwohl das einzige Zuhause, das Mike bis dahin gekannt hatte, Fresno war, eine glühend heiße Stadt in Kalifornien zwischen der Coast Range und der Sierra Nevada. Die Temperaturen schwankten dort meist zwischen dreißig und fünfundvierzig Grad. Es war zu heiß, um sich im Freien aufzuhalten, und die meisten Leute bewegten sich nur von ihren klimatisierten Häusern in ihre ebenfalls klimatisierten Autos, um zu ihren klimatisierten Schulen und Arbeitsplätzen zu fahren.
    Fast niemand in The Big Sauna, wie seine Eltern die Stadt getauft hatten, war von der Sonne gebräunt gewesen, und so war es für Mike fast ein Schock gewesen, als er im Sommer 1978 nach Helsingborg gekommen war und braun gebrannte Menschen im Wasser hatte planschen sehen, obwohl die Lufttemperatur eisig kalte fünfundzwanzig Grad betragen hatte.

    Mike beherrschte die schwedische Sprache, da seine Eltern mit ihm Schwedisch gesprochen hatten, aber sie sagten häufig, dass er die Sprache wie ein Amerikaner spreche. Sie fanden das süß. Mike hingegen hatte wahnsinnig Angst davor gehabt, dass man ihn in der Schule wegen seines Akzents hänseln würde.
    Die Gleichaltrigen, die er am ersten Abend am Strand traf, hatten nichts daran auszusetzen. Sie fanden, dass er wie Columbo oder McCloud klang. Mike verstand instinktiv, dass das etwas Positives war.
    Den anderen Kindern war der viel zu warm angezogene Junge aufgefallen. Schließlich waren sie zu ihm gegangen und hatten ihn gefragt, ob er mit ihnen Fußball spielen wolle. Als er sich nach einer halben Stunde warm gespielt hatte und den dicken Pullover auszog, entdeckten seine neuen Freunde die Uhr ohne Zeiger mit den eckigen Zahlen, die die Zeit anzeigten.
    Ihre Bewunderung kannte keine Grenzen. Das Faszinierendste war, dass ein einziger Knopf verschiedene Funktionen hatte. Drückte man einmal, geschah eine Sache, bei zweimaligem Drücken eine andere. Obwohl es derselbe Knopf war. Niemand begriff, wie das zuging.
    »Wie sieht’s aus?«, sagte er jetzt, dreißig Jahre später, zu seiner Tochter. »Bist du fertig?«
    Sanna nickte.

    Ylva Zetterberg war bei Bewusstsein.
    Sie lag auf der Rückbank, und die Welt zog an ihr vorbei, vertraute Baumkronen und Hausdächer. An den Bewegungen des Fahrzeugs konnte sie die Strecke nachvollziehen und wusste zu jedem Zeitpunkt, wo sie sich befanden.
    Sie war fast zu Hause, als der Wagen ohne Eile ein anderes Fahrzeug vorbeiließ und dann auf den Kiesplatz vor dem frisch renovierten Haus einbog. Die Frau öffnete das Garagentor mit einer Fernbedienung und fuhr in die Garage. Sie wartete, bis sich das Tor hinter ihnen geschlossen hatte. Dann stieg sie aus und öffnete die hintere Tür. Gemeinsam mit ihrem Mann führte sie Ylva wortlos in den Keller.
    Der Mann und die Frau legten Ylva auf ein Bett und ketteten ihre Hände mit Handschellen am Kopfende fest.
    Der Mann nahm eine Fernbedienung und richtete sie auf einen Fernseher, der unter der niedrigen Decke hing.
    »Du schaust doch gerne zu«, sagte er und schaltete den Fernseher ein.

7. KAPITEL
    »Wir müssen noch einkaufen«, sagte Mike.
    »Darf ich vorne sitzen?«
    Sanna sah ihn erwartungsvoll an.
    »Natürlich«, erwiderte ihr Vater.
    Es war schließlich Freitag.
    »Welche Strecke sollen wir nehmen?«, fragte er, nachdem er seiner Tochter beim Anschnallen geholfen hatte.
    »Am Wasser«, sagte Sanna.
    »Am Wasser«, wiederholte Mike und nickte, wie um zu unterstreichen, wie klug diese Wahl war.
    Er fuhr im zweiten Gang den Sundsliden hinunter, damit der Motor auf dem steilen Stück den Wagen abbremste. Der Sund breitete sich ungeniert, fast exhibitionistisch vor ihnen aus. Es war jetzt alles offener als damals, als Mike noch ein Kind gewesen war, obwohl das Ufer inzwischen dichter besiedelt war. Die Preise waren gestiegen, die Aussicht war immer teurer geworden, und immer mehr Bäume waren gefällt worden. Solide Häuser, die Wind und Wetter standhielten, waren von protzigen Häusern, die Aquarien glichen, ersetzt worden.

    »Jetzt können
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