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Engel sterben

Engel sterben

Titel: Engel sterben
Autoren: Eva Ehley
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aus Westerland eintreffen müssten, ist allerdings seit etwa dreißig Sekunden wie ausgestorben.
    Sven, der immer noch mit Anja telefoniert, ermahnt diese gerade: »Mach niemandem auf, auch keiner Frau, merk dir das, hörst du, niemandem …«, als auf der Kreuzung etwas sehr Merkwürdiges vor sich geht.
    Der von rechts kommende, eben erst abgefertigte Wagen rollt zwar in Richtung Westerland an, bleibt aber gleich darauf wieder stehen. Auch die kontrollierenden Polizisten haben ihre ganze Aufmerksamkeit der bisher leeren Gegenspur zugewandt.
    »I can’t get no – no, no, no …«, tönt Mick Jaggers einzigartige Stimme durch die Sträucher, scheucht die Möwen auf und erzwingt die Aufmerksamkeit der Menschen. Etwas blitzt durch die Büsche, die den weiteren Verlauf der Fahrbahn verbergen. Und dann schiebt sich von links ein silberner Mercedes aus den sechziger Jahren auf die Kreuzung. Der Wagen fährt sehr langsam und wird immer langsamer. Alle vier Fenster sind heruntergelassen. Der Fahrer und die hinter ihm sitzende Person sind im Schatten verborgen, aber hinter den beiden rechten Fensteröffnungen sind deutlich erkennbar zwei blonde Engel platziert. Vollkommen bewegungslos und mit starr nach vorn gerichteten Gesichtern kleben sie auf den Sitzen wie festgebunden. Es fällt nicht schwer, in den Engeln zwei der drei entführten Mädchen zu erkennen.
    Eine umfassende Stille breitet sich aus. Nicht nur, weil der Song aus dem Kassettenradio gerade zu Ende gegangen ist. Sogar die Sträucher am Straßenrand scheinen in ihrer Bewegung innezuhalten. Alle Anwesenden wenden sich dem Wagen zu. Aufmerksam, stumm, alarmbereit, aber noch verhalten. Ein kollektives Luftholen vor dem entscheidenden Schlag.
    »Das darf doch nicht wahr sein«, flüstert Sven auf dem Beifahrersitz des Dienstwagens.
    Dann erst reagieren Silja und Bastian. Sie reißen die Autotüren auf und spurten auf den silbernen Mercedes zu, vorbei an dem dunklen Cabriolet neben seinen verstörten Insassen und den verblüfften Polizisten, die sie festhalten. Jetzt ziehen auch die Beamten auf der Kreuzung die Waffen und entsichern sie. Vom Parkplatz des gegenüberliegenden Supermarktes kommen diverse Journalisten und drängen sich dreist zwischen die Einsatzkräfte der Polizei und den silbernen Mercedes, um ihre Teleobjektive auf Auto und Insassen zu richten. In Sekundenschnelle ist der Wagen umzingelt. Auch Sven läuft jetzt los. Ein Hubschrauber steigt vom nahe gelegenen Flughafen auf, nähert sich in großer Geschwindigkeit und senkt sich gleich darauf tief über den silbernen Wagen. Ob es ein Scharfschütze oder ein Fotoreporter ist, der gefährlich weit aus dem Fenster hängt, ist nicht auszumachen.
    Die Rotorgeräusche des Hubschraubers, die lüstern in Richtung der reglosen Mädchen gebrüllten Aufforderungen der Journalisten und die Befehle der Polizei liegen jetzt wie eine Lärmkapsel über der Szene. Und obwohl die ganze Kreuzung unter dieser Kapsel in hektischer Bewegung zu sein scheint, ist um den silbernen Wagen herum eine merkwürdige Bannmeile entstanden.
    Niemand nähert sich dem Auto auf mehr als zwei Meter. Und niemand achtet auf Markus Rother, der jetzt ebenfalls den Wagen der Kriminalbeamten verlässt.
    Alle Blicke sind nur auf den silbernen Mercedes gerichtet.
    Silja, die sich inzwischen bis zur ersten Reihe des Menschenpulks um den Daimler durchgekämpft hat, verharrt wartend. Die Waffe hält sie im Anschlag. Bastian Kreuzer lässt sie nicht aus den Augen und versucht, sich vorsichtig und möglichst unauffällig ebenfalls durch den Menschenauflauf zu schieben.
    Jetzt öffnet sich die Fahrertür des Mercedes. Mit ernstem Gesicht entsteigt Fred Hübner dem Wagen und schaut sich suchend um. Es dauert einige Sekunden, bis seine Blicke zur Ruhe kommen. Mit fast magischer Kraft scheinen sie eine Gasse für Markus Rother zu erzwingen, der sich langsam zu dem Fahrer des Mercedes durchdrängt.
    Silja ruft mit lauter Stimme: »Keine Bewegung da vorn«, und entsichert ihre Waffe. Die drei entführten Mädchen blicken immer noch aus starren Augen ins Ungewisse. Silja kann ihre weißen Kleider erkennen und auch die Engelsflügel, die auf ihre Rücken geschnallt sind. Nur die wichtigste Frage, ob die Mädchen leben oder tot sind, die kann sie nicht beantworten. Wie Puppen, blass und starrgesichtig, thronen die zierlichen Körper hinter den Fensterausschnitten. Nein, Silja ist sich plötzlich sicher, diese Mädchenkörper sind nur noch Hüllen, ihre
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