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Ender 4: Enders Kinder

Ender 4: Enders Kinder

Titel: Ender 4: Enders Kinder
Autoren: Orson Scott Card
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nicht damit zusammenhängenden Einleitungsabschnitte über Nils gelesen hatte. Er, ein Mann, der die peripheren (oder Rand-)Völker Japans – vor allem die Kultur Okinawas – studiert und sich für sie eingesetzt hatte, faßte Japan als eine Kultur auf, die in Gefahr war, ihren Mittelpunkt zu verlieren! Die ernsthafte japanische Literatur, sagte er, sei genau deswegen im Verfall begriffen, weil die japanischen Intellektuellen westliche Ideen ›übernehmen‹ und ›weitergeben‹, nicht weil sie besonders daran glaubten, sondern weil sie vom Modischen daran gefesselt seien, während sie zugleich jene machtvollen Ideen ignorierten, die in der Yamato-Kultur (d.h. der einheimischen japanischen Kultur) inhärent seien und die Japan die Kraft geben würden, zu einer eigenständigen Mittelpunktnation zu werden. Am Ende gebrauchte er sogar die Worte ›Mittelpunkt‹ (›center‹) und ›Rand‹ (›edge‹), und zwar in diesem Satz:
     
    Die Schriftsteller der Nachkriegszeit indes suchten nach einem anderen Weg, der Japan an einen Platz in der Welt führen würde: nicht in ihrem Mittelpunkt, sondern am Rande davon. (S. 97 f.)
     
    Seine Argumentation war nicht dieselbe wie meine, aber die Weltkonzeption von Mittelpunkten und Rändern stimmte überein.
    Ich nahm alle Sorgen Oes um die Literatur ganz persönlich, da ich genau wie er Teil einer ›Rand‹-Kultur bin, die Ideen aus der dominanten Kultur ›übernimmt‹ und ›weitergibt‹ und die in Gefahr ist, ihren Selbstzentrierungsimpuls zu verlieren. Ich spreche von der Kultur der Mormonen, die am Rande Amerikas geboren wurde und seit langem eher amerikanisch als mormonisch ist. Vermeintlich ›ernsthafte‹ Literatur in der mormonischen Kultur besteht (übrigens seit jeher) ausschließlich aus Nachahmungen – meist mitleiderregend, aber bisweilen auch von annehmbarer Qualität – der ›ernsthaften‹ Literatur des zeitgenössischen Amerikas, die selbst eine dekadente, hoffnungslos irrelevante Afterliteratur ist, weil sie kein Publikum besitzt, das an ihre Geschichten glaubt oder sich etwas aus ihnen macht, kein Publikum, das einer echten gemeinschaftlichen Wandlung fähig wäre.
    Und wie Oe – oder sagen wir, ich glaube, Oe darin richtig zu verstehen – kann ich die Wiederherstellung (oder, wie man es auch sehen könnte, die Erschaffung) einer wahrhaft mormonischen Literatur nur erwachsen sehen aus einer Zurückweisung der modischen »ernsthaften« (aber in Wirklichkeit frivolen) amerikanischen Literatur und ihrer Ersetzung durch eine Literatur, die Oes Kriterien für junbungaku entspricht:
    Die Rolle der Literatur – insofern der Mensch offensichtlich ein historisches Wesen ist – ist es, ein Modell der Gegenwart zu schaffen, das Vergangenheit und Zukunft mit einbezieht, ein Modell auch der Menschen, die in dieser Gegenwart leben. (S. 66)
     
    Was die ›ernsthafte‹ mormonische Literatur niemals zu entwerfen versucht hat, war ein Modell der in unseren gegenwärtigen Kultur lebenden Menschen. Oder vielmehr: sie hat es zu entwerfen versucht, aber niemals von innen heraus. Die Haltung des implizierten Autors (um Wayne Booths Begriff zu gebrauchen) war stets skeptisch und distanziert statt kritisch und von innen heraus; und ich bin davon überzeugt, daß niemals eine wirkliche Nationalliteratur von jemandem geschrieben werden kann, dessen Werte sich von außerhalb jener nationalen Kultur herleiten.
    Aber ich schreibe nicht nur mormonische Literatur. Ebenso häufig bin ich ein Science-Fiction-Autor gewesen, der Science-Fiction für die Gemeinde der Science-Fiction-Leser geschrieben hat – auch dies eher eine Randkultur, wenn auch eine, die über die nationalen Grenzen hinausgeht. Ich bin wohl oder übel auch ein Amerikaner, der amerikanische Literatur für ein amerikanisches Publikum schreibt. Am fundamentalsten bin ich jedoch ein menschliches Wesen, das menschliche Literatur für ein menschliches Publikum schreibt, wie wir alle es sind, die diesem Gewerbe nachgehen. Es gibt Zeiten, in denen auch das mir wie eine Randkultur vorkommt. Wir, die wir so leidenschaftlich damit beschäftigt sind, Bindungen einzugehen, während wir zugleich doch so allein dastehen, den Tod von uns wegzuschieben, während wir zugleich seine unwiderstehliche Macht anbeten, fremde Einmischungen mit einem Achselzucken abzutun, während wir uns zugleich ungefragt in das Leben anderer einmischen, unsere Geheimnisse zu bewahren, während wir zugleich die anderer aufdecken, ein
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