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Elixir

Elixir

Titel: Elixir
Autoren: H Duff
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Foto und speicherte alle, die mich besonders ansprachen, in einem extra Ordner ab. Diesen Vorgang wiederholte ich immer und immer wieder und nahm mir bei jeder Runde etwas mehr Zeit für jedes Bild. Nach und nach filterte ich jene heraus, die mir immer wieder ins Auge stachen, bei mir irgendwelche Instinkte oder Emotionen weckten.
    Es dauerte Stunden, doch schließlich hatte ich meine Auswahl auf zwanzig Bilder begrenzt, die alle Stationen unserer Reise berücksichtigten: Trafalgar Square bei Nacht. Einen Zähne fletschenden Wasserspeier, scheinbar auf dem Sprung von einer Säule des Prager Veitsdoms. Rayna mit dem Rücken zur Fontana di Trevi, gemäß der Tradition mit der rechten Hand eine Münze über die linke Schulter hineinwerfend.
    Doch meine Augen kehrten immer wieder zu einem Bild des Feuers in Pierres Apartmenthaus zurück. Ich klickte es an, sodass es den ganzen Bildschirm ausfüllte. Es war ein Foto von zwei Feuerwehrleuten vor dem Gebäude. Zu diesem Zeitpunkt war der Qualm bereits so dicht, dass beide Sauerstoffflaschen auf dem Rücken und trichterförmige Masken trugen, die ihre Gesichter komplett verdeckten. Sie waren von Kopf bis Fuß mit dicken schwarzen Uniformen, gelben Handschuhen und Helmen vermummt, doch ihre Emotionen waren dennoch sichtbar. In perfektem Einklang zurückgelehnt, hielten sie gemeinsam einen dicken grünen Schlauch, aus dem Wasser zu den Flammen hinaufschoss. Allein ihre Körperhaltung drückte Mut, Entschlossenheit und Hoffnung aus.
    Das Bild war fesselnd, es hatte eine ungeheure Wucht, doch als ich wieder und wieder meine Augen darüber gleiten ließ, wurde mir bewusst, dass es nicht die Feuerwehrmänner waren, die mich in den Bann zogen, sondern das Löschfahrzeug ein Stück weiter hinten.
    Ich vergrößerte das Bild und zoomte auf das Feuerwehrauto. Entlang seiner Seitenwand, an der Stelle, an der die Schläuche angeschlossen und die Wasserventile an- und abgedreht werden, befand sich eine Einbuchtung, die von etwas verschattet wurde, das ich nicht genau erkennen konnte.
    Ich vergrößerte das Foto noch einmal und rückte die Stelle in den Mittelpunkt. Jetzt verstand ich: Den Schatten warf ein Mann. Er sah jung aus, vielleicht Anfang zwanzig, obwohl sein Gesicht kaum zu erkennen war, weil es nicht der Kamera zugewandt war. Er hatte den Kopf zur Seite gedreht, eine Hand an der Leiter, die in die Seitenwand eingelassen war. Sein Kopf war gesenkt und jede Faser seines Körpers drückte Anspannung aus.
    War er vielleicht auch ein Feuerwehrmann? Vom Körperbau her womöglich, aber die Kleidung passte nicht, er trug keine Uniform, sondern eine schwarze Lederjacke, Jeans und ein graues T-Shirt. Und obwohl er ein Gesicht machte, als wäre er die ganze Nacht im Einsatz gewesen, beschäftigte er sich überhaupt nicht mit dem Brand, sondern schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Mit seinen dunklen, zerzausten Haaren, seinen markanten Wangenknochen und den dichten Augenbrauen sah er auffallend gut aus, doch seine Augen und sein Mund verrieten einen Schmerz, der seiner Erscheinung mehr Tiefe verlieh als einfach nur Schönheit.
    Ich konnte den Blick nicht von ihm abwenden.
    Was wohl in ihm vorgin?, fragte ich mich. War das Feuer in seiner Wohnung ausgebrochen? Ich stellte ihn mir vor, wie die Löschfahrzeuge eintrafen, wie er gegen die Flammen anschrie, als könnte pure Willenskraft sie zurückdrängen. Oder vielleicht befand er sich noch im Gebäude, als die Feuerwehrleute kamen, und setzte sich mit aller Macht gegen das Inferno zur Wehr. Schlug hustend unnachgiebig mit nassen Decken auf die Flammen ein. Ich stellte mir vor, wie er sich gegen die Feuerwehrmänner wehrte, die ihn aus seiner Wohnung zerrten. Vielleicht sogar–
    Das Läuten der Türglocke holte mich zurück in die Wirklichkeit.
    » Piri?«, rief ich, dann fiel mir wieder ein, dass unsere Haushälterin heute nicht da war. Ich hatte ihr freigegeben, damit ich mich in Ruhe vom Flug erholen konnte. Widerstrebend stand ich von meinem Computer auf und ging hinunter zur Haustür. Es war keiner da, nur ein großer Strauß Schwertlilien mit Blüten in allen Regenbogenfarben stand auf der Veranda. Sie waren wunderschön. Ich trug sie ins Haus und stellte sie auf den Küchentisch, dann schlug ich die Karte auf.
    Willkommen zu Hause! Tut mir leid, dass ich nicht da sein kann. Ich hab dich lieb! Wir sehen uns dann nächste Woche, wenn ich aus Israel zurückkomme.
    Alles Liebe
    Mom
    Das war alles. Trotz der Blumen, die sie
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