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Elixir

Elixir

Titel: Elixir
Autoren: H Duff
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einen heißen Kakao, die größte Kanne Tee, die sie hatten, und ein Schokoladencroissant und bat darum, die Sachen vor der Tür abzustellen, falls ich nicht auf das Klopfzeichen antworten sollte. Denn ich hatte vor, mich unter die Dusche zu stellen, bis meine Haut krebsrot war und auch das letzte bisschen Kälte aus mir herausgespült war.
    Eine Dreiviertelstunde später saß ich in einen kuscheligen Bademantel gehüllt auf dem Bett, trank Kakao und nagte an meinem Croissant. Nach der wunderbaren, brühheißen Dusche, die köstlich wie ein Festmahl gewesen war, glühte ich richtig. Rundum zufrieden schaltete ich die Nachrichten an, neugierig, ob ich Mom zu Gesicht bekommen würde. Wo war sie diese Woche? Ich wusste es nicht mehr. Israel? Moskau? Vielleicht sogar hier, in Europa? Ich stopfte mir einen ganzen Kissenberg in den Rücken und machte es mir gemütlich…
    …und das Nächste, woran ich mich erinnern kann, war, dass ich von Flammen eingeschlossen war.
    Sie waren überall. Ich kniff die Augen gegen den sengenden orangeroten Schein zu, doch es half nichts. Ich wusste, das Feuer war da, konnte es trotzdem lodern sehen.
    Und der Gestank. Der beißende, stechende Geruch giftiger Chemikalien von schmelzendem Plastik, brennenden Teppichen und Elektrogeräten. Der widerliche Gestank verbrannter Haare. Menschenhaare. Meine Haare?
    Nein. Jetzt sah ich ihn. Den Mann, der durch das Inferno wankte, das einmal ein Hotelzimmer gewesen war. Auf seinen Armen, Beinen und Haaren tanzten Flammen. Er schlug darauf ein, doch es fachte sie nur weiter an. Als sie auf sein Gesicht übergriffen, drehte er sich zu mir und ich sah den letzten gequälten Aufschrei meines Vaters–
    » NEIN !«, keuchte ich und fuhr hoch. Mein Herz raste, Tränen liefen mir über die Wangen. Wo war ich? Ich griff nach meiner Kette und fand nur die dicken Falten des Bademantels. Verängstigt und zitternd sah ich mich um. Noch immer war ich völlig durcheinander und schnupperte, ob nicht doch der Geruch von Feuer in der Luft hing.
    Mein Blick fiel auf das Tablett des Zimmerservice’, das neben mir auf dem Bett lag. Schokoladencroissantkrümel. Echt. Real. Meine Atmung beruhigte sich langsam und ich sah aus dem Fenster, auf der Suche nach dem tröstlichen Schimmer von Notre Dame. Ich konzentrierte mich auf die Kathedrale und atmete tief ein und aus.
    Die Therapeutin hatte mir gesagt, dass die Träume mit der Zeit aufhören würden, aber nun war es schon ein Jahr her, dass mein Vater verschwunden war, und sie suchten mich noch immer regelmäßig heim. Nun behauptet die Therapeutin, dass es an der Ungewissheit liegt. Wenn ich wüsste, was geschehen ist, wenn ich Antworten hätte…
    Aber es gibt keine. Also denke ich mir selbst Sachen aus und fülle die Leerstellen mit den grässlichsten Dingen aus, von denen ich jemals gehört oder gelesen habe oder die ich gesehen habe. Und weil ich manchmal als Fotojournalistin arbeite, habe ich ziemlich viel gesehen.
    Mit anderen Worten: In meinem Gehirn schwirrt tonnenweise Albtraum-Material.
    Über diesen letzten Albtraum musste ich aber den Kopf schütteln. Er war lächerlich. Wenn ich irgendetwas wusste, dann dass mein Vater nicht in einem brennenden Hotel ums Leben gekommen war. Er war in keinem Hotel gewesen, sondern bei einem GloboReach-Außenposten. Warum also träumte ich so etwas dann?
    Mein Blick wanderte zum Fernseher und auf einmal ergab es Sinn. Auf dem Bildschirm loderte ein prasselnder Brand. Ich musste ihn im Schlaf gehört und in meinen Traum eingebaut haben. Ich nahm mir vor, nie wieder kurz vor dem Einschlafen Nachrichten zu schauen. Das Letzte, was ich brauchte, war zusätzliche Nahrung für meine Albträume.
    Gebannt sah ich auf den Bildschirm. Der Brand war riesig und verschlang ein großes, wunderschönes Apartmenthaus, das um 1800 herum erbaut worden sein musste. Der Gedanke, dass so ein altes, stabiles Haus, das über zweihundert Jahre gehalten hatte, innerhalb kürzester Zeit zerstört werden konnte, machte mich traurig.
    Ich drehte den Ton lauter, weil ich mehr über das Gebäude und seine Bewohner erfahren wollte. Mein Französisch ist so lala, aber es klang, als wäre das Feuer irgendwo in den oberen Stockwerken eines Gebäudes ausgebrochen, das wegen seines einmaligen Blicks auf den Eiffelturm gerühmt wurde.
    Mir gefror das Blut in den Adern.
    Hatte ich diese Nacht nicht irgendetwas über den Blick auf den Eiffelturm gehört?
    Nein… solche Schlussfolgerungen zu ziehen, war vorschnell…
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