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Elixir

Elixir

Titel: Elixir
Autoren: H Duff
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längste Reise seit der Beerdigung gewesen. Das stimmte. Außerdem war ich seit sechs Uhr morgens mitteleuropäischer Zeit auf den Beinen und jetzt war es sechs Uhr abends in Connecticut– Mitternacht in Paris. Und dann war da natürlich noch mein Hang zum Hineinsteigern.
    » Du hast vermutlich recht«, sagte ich. » Ich bin hundemüde. Vielleicht werde ich mich ein bisschen hinlegen.« Doch noch während ich es aussprach, dachte ich an die Bilder auf meinem Computer und wusste, dass ich mich viel eher mit ihnen beschäftigen als schlafen gehen würde.
    » Da glaubst du doch selbst nicht dran!« Wie Rayna konnte auch Ben meine Gedanken lesen. Ich lächelte ihn an.
    » Ich habe dich vermisst«, sagte ich.
    » Ich dich auch. Schön, dass du wieder da bist.«
    Wir wollten uns schon umarmen, als ich zurückzuckte– Sekunden bevor ich gegen seinen noch immer triefnassen Pulli gedrückt wurde.
    » Ben!«
    » Oh, mein Fehler«, sagte er und schälte sich aus seinem durchnässten Pullover. Darunter trug er ein dünnes weißes T-Shirt, das der Kaffeefleck auch durchfeuchtet hatte, sodass es an seiner Brust klebte. Ich starrte die nasse Stelle an und brachte auf einmal keinen Ton mehr heraus.
    Natürlich war das albern. Ben und ich waren die allerbesten Freunde und konnten über alles reden. Ich zog ihn zum Beispiel gerne wegen seines plötzlich durchtrainierten Körpers auf und er machte dann immer übertrieben bescheidene Witze und parierte mit irgendwelchem abstrusen Zeug, das Zeitschriften über mich behauptet hatten…
    Aber jetzt sagte ich kein Wort. Und konnte meinen Blick nicht von ihm losreißen. Offensichtlich war ich ganz benebelt vom Schlafmangel.
    » Du könntest den Kaffee noch immer probieren«, bot er an. » Es ist genug davon in meinem Pulli. Ich könnte ihn über der Tasse auswringen.«
    Ich schüttelte meine Benommenheit ab. » Verlockendes Angebot, aber nein, danke. Du wirst mich nie zum Kaffee bekehren. Ich bleibe meinem Tee treu.«
    » Wir werden sehen.« Er legte den Pullover auf das Handtuch und wandte sich dann mit ausgebreiteten Armen zu mir. » Besser?«
    » Viel besser«, sagte ich und machte einen Schritt auf ihn zu, damit er mich in die Arme nehmen konnte.
    » Hallo! Störe ich etwa?« Es war Rayna. Beim Klang ihrer Stimme fuhren Ben und ich verlegen auseinander. Und auch das war lächerlich. Wir hatten uns tausendmal umarmt. Das war nichts Besonderes– bis auf die Tatsache, dass Ben dann normalerweise etwas mehr trug als ein dünnes T-Shirt…
    Ich zog eine Grimasse. » Warum kriege ich es eigentlich nie mit, wenn jemand ins Haus kommt?«
    » Zu großes Haus«, meinte Rayna. » Kommt! Meine Mom gibt bei uns drüben eine Willkommensparty für uns.«
    » Heute Abend?«, fragte ich.
    » Jetzt gleich. Außer ich sage ihr, dass es… besondere Umstände gibt, die für eine Verschiebung sprechen.«
    Das Letzte sagte sie mit einem anzüglichen Grinsen, den Blick auf Bens Brust gerichtet, der ihn erröten ließ. Raynas Familie wartete seit zwei Jahren ungeduldig darauf, dass Ben und ich zusammenkamen. Sie schienen der Meinung zu sein, dass meine Eltern ihn als meinen festen Freund eingestellt hatten, nicht als meinen Berater in internationalen Angelegenheiten.
    Es ist schwer zu glauben, dass ich Ben erst seit zwei Jahren kenne, und noch schwerer, dass ich anfangs nichts mit ihm zu tun haben wollte. Mom und Dad hatten ihn ohne mein Wissen eingestellt, als ich überall auf der Welt Aufträge als Fotojournalistin bekam. Darunter auch in Ländern, in denen die politische Situation nicht ganz unproblematisch war. Ich war damals stinksauer und stellte mir einen hirnlosen Dummkopf von einem Bodyguard vor, der mir wie ein Klotz am Bein hängen würde.
    Ich hätte meinen Eltern etwas mehr zutrauen sollen. Ihre größte Sorge war nicht, dass ich körperlich Schaden nehmen würde. Darüber hatten wir ausführlich diskutiert und sie vertrauten darauf, dass ich offenkundige Gefahrensituationen meiden würde. Außerdem behielten sie sich ein Vetorecht vor, Aufträge zu verbieten, die ihrer Meinung nach nichts für eine Minderjährige waren. Meine Eltern hatten Ben also nicht wegen seiner Muskeln verpflichtet, sondern wegen seines Verstands. Mit zwanzig hat er schon einen Doktortitel, spricht mehr Sprachen, als man es bei einem einzelnen Menschen für möglich hält, und weiß eigentlich über so ziemlich alles Bescheid, auch wenn seine Spezialgebiete Weltgeschichte und Mythologie sind. Sein Wissen ist die beste
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