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An den Rändern der Zeit (German Edition)

An den Rändern der Zeit (German Edition)

Titel: An den Rändern der Zeit (German Edition)
Autoren: Antje Ippensen
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    Prolog
    Mein Körper gibt mühelos Geheimes wieder. Mein Körper ist das Buch, das die Lösung enthält. Meine Welt reicht tiefer als der Ozean nieder.
    Eine Botschaft ist mein Buckel, dich zu erreichen, doch mehr als ich zeige, verberge ich die Welt. Ich hebe meine Pfote zum geheimen Zeichen. (Phillip Dacey)
     
    Riesengroße Stadt, Ende und Anfang verschwimmen, gigantisches Schachbrett, in vierundsechzig Zonen aufgeteilt. Sehr klarer und ordentlicher Anblick von oben. Sauber getrennt das alles: Gift von Gesundheit, Arm von Reich, Natur von Nichtnatur.
    Chrom, Stahl und Glas blitzen; Beton blitzt nicht, steht dafür aber unerschütterlich. Viele, viele Vororte, in regelmäßigen Abständen, wie zusammengefegte Kippenhäufchen auf einem großen Platz – sie tragen schöne farbige Namen. Weiter weg, heiter-harmonisch hinter gewaltigem Laserstacheldraht, die offiziell so genannten Vorvororte. Doch jeder einzelne von ihnen ist eine Insel der Glückseligkeit und trägt deshalb auch einen entsprechenden Namen: Bahamas, Madagaskar, Kanaren, Tahiti usw.
    Getreu dem Schwarz-Weiß-Schema des Schachbretts kommt dahinter das, was in alter Zeit Slum genannt wurde und heute noch altmodischer und beschönigend Treibgutzone heißt: als sei die Stadt das Land an dessen Ufer so allerlei angespült würde. Die Küstenszenerie entspräche somit den hundert Schienensträngen, die – nebst einem weiteren Gitterlaserzaun, versteht sich – die inselseligen Vorvororte von diesem Phänomen abschirmen.
    Für das schmale Außerhalb der Stadt gibt es eigentlich keine Bezeichnung mehr. Es ist kein Ort für das Leben.
    Das finden auch die Ratten. Sie nennen die Stadt den alten Sumpf, in dem grünlich-schimmelige Dinge an wie mit morschen Flechten überwachsenen Baumstümpfen klebend langsam versinken. Jahrhundertelange Stadt/Menschen-Erfahrung, gepaart mit beeindruckenden wissenschaftlichen Karrieren als Laborratten, hat bei dieser Spezies eine unglaubliche Metaphernfreudigkeit hervorgebracht. De Rattenstadt ist sozusagen Staat im Staate, aber die Ratten kümmern sich kaum um Menschen, es sei denn, diese liegen in verzehrbereitem Zustand irgendwo herum. So wie der Apfel den Wurm, braucht die Stadt Schmarotzertum!, lautet das etwas unrein gereimte Motto der Ratten. Für das Leben in freier Wildbahn – ohnehin giftmüllverseucht – sind sie zweifellos verloren. Warum in Abfallhaufen raufen – ´s gibt hier doch genug zu saufen!
    Aber nicht von den Ratten soll hier die Rede sein. Es könnte zwar sein, dass sie sich hin und wieder in die Geschichte einmischen, mit schmutzigen Pfoten über das milchzuckerweiße Papier trippeln, doch hoffen wollen wir das nicht, denn sie sind – wie schon vorhin angedeutet – nicht mehr die possierlichen Punkschmusetiere oder die dumpfen Kornfresser und Ins-Korn-Scheißer, die sie einmal waren. Komischerweise weiß niemand mehr, woher die Stadt ihren Namen hat. Und das in einer Zeit, die mittlerweile absolut hysterisch ist, was das Erfassen, Kommentieren, Darüber-Quatschen, Erforschen und Alles-in-öde-Statistiken-Pressen anbelangt. Also trotzdem weiß niemand, wieso die urbane Monstrosität die Augenwelt genannt wird. Nun ja, es hat auch nie jemand herausgefunden, weshalb so viele Wale die Orientierung verloren und elendiglich im flachen Wasser oder im Schlick verreckten, und das wäre vielleicht noch wichtiger gewesen.
    Andererseits ist das Meer weit weg, und die Stadt ist hier.
    Es gibt eine Menge Leute in der Augenwelt. Massenhaft Leute. Man könnte fast schon von einer Hypermasse sprechen. Sie arbeiten zum größten Teil im funkelnd schwarzen Herzen der Stadt; schwarz ist es vor Menschen, und funkeln tut es vor Glück, denn Arbeit ist Glück.
    Masse macht stumm – nein, diesmal kein Rattenzitat, denn Ratten lieben Massen, treten gern in solchen auf.
    Wem gehört also diese Stimme, die dergleichen Weisheiten raunend von sich gibt?
    Dein Vergleich mit dem Schachbrett humpelt ziemlich daher. Spielt hier jemand etwa Schach? Dazu brauchst du Ruhe und Konzentration; beides irgendwie Mangelware in der Augenwelt.
    Ach ja? Vielleicht passt es besser, ein Computerstrategiespiel an den Haaren herbeizuzerren. Mit 64 Leveln.
    Hat ein Computerspiel Haare?
    Erwähnte ich schon, dass es in der Augenwelt mehr Computer als Bewohner gibt? Und, nebenbei bemerkt, die Soundkarten dieser Teile sind heute kaum besser als vor vielen Jahrzehnten, blechernen Lautsprecherklang inbegriffen. Niemand weiß, wieso das so ist. Auch
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