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Elementarteilchen

Elementarteilchen

Titel: Elementarteilchen
Autoren: Michel Houellebecq
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Klonen fortpflanzen ließ und somit unsterblich war.
    Als Frédéric Hubczejak gleichzeitig mit mehreren hundert anderen Forschern auf der Erde Djerzinskis Arbeiten entdeckte, war er siebenundzwanzig und beendete gerade seine Doktorarbeit in Biochemie an der Universität Cambridge. Dieser unruhige, unstete Geist voller krauser Gedanken war seit mehreren Jahren durch Europa gereist - er hatte sich, wie sich feststellen läßt, nacheinander an den Universitäten in Prag, Göttingen, Montpellier und Wien eingeschrieben -, denn er suchte, seinen eigenen Worten zufolge, »ein neues Paradigma und zugleich noch etwas anderes: Nicht nur eine andere Art, die Welt zu betrachten, sondern auch eine andere Art, mich ihr gegenüber zu situieren«. Er war auf jeden Fall der erste, und jahrelang der einzige, der folgenden, aus Djerzinskis Arbeiten abgeleiteten radikalen Vorschlag vertrat: Die Menschheit müsse verschwinden; die Menschheit müsse einer neuen geschlechtslosen, unsterblichen Spezies das Leben schenken, die die Individualität, die Trennung und das Werden überwunden hat. Es braucht wohl kaum erwähnt zu werden, welche Feindseligkeit ein solches Vorhaben bei den Anhängern der Offenbarungsreligionen auslöste - die jüdische, die christliche und die islamische Religion verdammten diese Arbeiten mit seltener Einhelligkeit als eine »schwere Verletzung der Menschenwürde, die auf einer einzigartigen, persönlichen Beziehung zum Schöpfer beruht«; nur die Buddhisten wiesen darauf hin, daß Buddha seine Lehre entwickelt hatte, nachdem ihm bewußt geworden war, welches Hindernis Alter, Krankheit und Tod darstellen, und daß der Erleuchtete, auch wenn er sich eher der Meditation gewidmet hatte, das Prinzip einer technischen Lösung nicht unbedingt zurückgewiesen hätte. Wie dem auch sei, Hubczejak hatte ganz offensichtlich wenig Unterstützung von seiten der bestehenden Religionen zu erwarten. Die Tatsache, daß die traditionellen Anhänger des Humanismus mit radikaler Ablehnung reagierten, ist dagegen erstaunlicher. Selbst wenn uns diese Begriffe heutzutage schwer verständlich erscheinen, darf man nicht vergessen, welch zentrale Bedeutung die Begriffe i ndividuelle Frei heit, Menschenwürde, und Fortschritt für die Menschen des materialistischen Zeitalters hatten (also während der Jahrhunderte, die den Untergang des mittelalterlichen Christentums von Djerzinskis Arbeiten trennten). Der verschwommene, willkürliche Charakter dieser Begriffe sollte natürlich dazu führen, daß sie nicht die geringste soziale Wirkung hatten - und daher läßt sich die Geschichte der Menschheit vom 15. bis zum 20. Jahrhundert unseres Zeitalters im wesentlichen als die Geschichte einer Auflösung und eines allmählichen Zerfalls charakterisieren; aber dennoch klammerten sich die gebildeten oder halbgebildeten Schichten, die dazu beigetragen hatten, diese Begriffe, so gut es ging, durchzusetzen, besonders heftig an sie, und man kann verstehen, daß Frédéric Hubczejak in den ersten Jahren solche Schwierigkeiten hatte, sich Gehör zu verschaffen.
    Die Geschichte der wenigen Jahre, die Hubczejak erlaubten, einen zunehmenden Teil der Weltöffentlichkeit von einem Vorhaben zu überzeugen, das anfangs auf Widerwillen und einhellige Mißbilligung gestoßen war, und dieses Vorhaben schließlich sogar von der UNESCO finanzieren zu lassen, führt uns das Bild eines außerordentlich brillanten, hartnäckigen Menschen mit pragmatischem und zugleich beweglichem Geist vor Augen - also letztlich das Bild eines außerordentlichen geistigen Aufrührers. Er selbst besaß zwar nicht das Zeug zu einem großen Forscher; aber er verstand es, die einhellige Achtung, die der Name und die Arbeiten Michel Djerzinskis den Wissenschaftlern in aller Welt einflößte, zu nutzen. Er besaß erst recht nicht die Denkweise eines originellen, tiefsinnigen Philosophen; aber er verstand es, in seinem Vorwort und seinem Kommentar zur Meditation über die Verflechtung und zu den Clifden Notes Dj erzinskis Gedankengut auf scharfsinnige, klar verständliche Weise einer breiten Leserschaft näherzubringen. Hubczejaks erster Artikel, Mi chel Djerzinski und die Kopenhagener Deutung, is t trotz seines Titels wie eine lange Meditation über die folgende Bemerkung von Parmenides aufgebaut: »Der Akt des Denkens und der Gegenstand des Denkens verschmelzen miteinander.« In seinem folgenden Werk, Abhandlung ü ber die konkrete Be grenzung, sowie in jenem mit dem schlichten Titel Die
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