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Elbenzorn

Elbenzorn

Titel: Elbenzorn
Autoren: Susanne Gerdom
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Stirn, schloss die Augen und verharrte so.
    Keiner der Anwesenden regte auch nur einen Finger. Es war so still im Zimmer, dass man hören konnte,wie draußen im Hof scheppernd einige Rüstungsteile zu Boden fielen und jemand fluchte.
    In Broneetes Ohren summte es. Ihre Kehle war so trocken vor Angst, dass sie nicht mehr schlucken konnte. Kleine Funken tanzten vor ihren Augen, und irgendwo in ihrem Kopf drehte sich ein alberner alter Kinderreim in endloser Wiederholung um und um.

    Baumfinger wahrt die Kleinen,
    Mondfinger Traumbringer,
    Windfinger sucht die Seinen,
    Wasserfinger Lügensinger,
    Sternenfinger liebt die Reinen …

    Ihre Lider flatterten und sanken herab. Sternenfinger liebt die Reinen hauchte es in ihrem Kopf. Sie seufzte leise und schlief ein.
    Sie saß vor dem Quartier des Offiziers. Es war drückend schwül, ihre Glieder waren schwer und ihre Augen brannten vor Müdigkeit. Irgendwo wisperten Stimmen, ein Chor von Flüsterern und Murmlern, und sie bemühte sich, zu verstehen, was sie sagten, denn es war höchst wichtig, dass sie das tat. Der Schweiß brach ihr aus allen Poren, so sehr strengte sie sich an zu verstehen. Eine Stimme war deutlicher als die anderen, und sie konnte fast hören, was sie sagte. Schlaf, dachte sie. Schließ einfach die Augen und schlaf. Alles ist friedlich, keine Gefahr droht …
    Sie riss die Augen auf, die zuzufallen drohten. Vor ihr ragte eine nachtschwarze Gestalt auf, hoch wie ein Haus. Broneete ächzte leise und wollte aufspringen, aber die Berührung einer Hand, leicht wie eine Feder und gleichzeitig schwer wie das Gewicht des Himmels, drückte sie zurück auf ihren Hocker. Helle Augen blitzten aus einem nachtdunklen Gesicht und fesselten sie mit ihrem eisklaren Blick. Gelähmt, wie mit unsichtbaren Banden gefesselt, sah sie hilflos zu, wie die schwarze Gestalt die Tür öffnete, die sie bewachte, und eintrat.
    »Hilfe!«, wollte sie schreien, doch die Zunge gehorchte ihr so wenig wie ihre Glieder. Dann drangen Geräusche aus dem Quartier. Schreckliche, nervenzerfetzende Geräusche. Lebendiges Fleisch, das von Knochen gerissen wurde, warmes Blut, das gegen Wände spritzte, eine Stimme, die in Todesangst schrie und schrie und noch höher schrie, bis ihr die Trommelfelle zu bersten drohten …
    Broneete erwachte mit einem Ruck. Ihre Lider waren schwer, und die unbequeme Haltung, in der sie auf dem Stuhl zusammengesunken war, hatte ihre Glieder taub werden lassen.
    Worte drangen an ihr Ohr: »Gardistin Broneete hat die Wahrheit gesprochen, Vize-Kommandeur. Ich habe in ihrem Geist nichts finden können, was darauf hindeutet, dass jemand oder etwas an ihr vorbei in das Quartier gelangen konnte.«
    »Dunkelelben«, versuchte sie zu murmeln, aber ihre Lippen waren so taub und schwer wie der Rest ihres Leibes. Sie gähnte, dass ihre Kiefer knackten, und die letzten Traumreste zerfaserten und lösten sich auf.
    Gesichter wandten sich ihr zu. »Du kannst gehen, Gardistin«, sagte der Vize-Kommandeur. Die Köpfe drehten sich, sie wurde nicht weiter beachtet. Während sie zur Tür ging, sie öffnete und leise wieder hinter sich schloss, hörte sie Glautas’ sonore Stimme sagen: »Ich weiß, dass man in der Garde nun munkeln wird, dass die Dunklen dahinterstecken. Aber ich glaube nicht an Kindermärchen. Das war ein gut vorbereitetes Attentat, und wer auch immer Horakin getötet hat: Wir werden es herausfinden!«

2
    D er Wandernde Hain schlief friedlich unter dem Licht der Sterne. Die zarte Sichel der Jägerin stand über den Wipfeln der schlanken, hochstämmigen Bäume und färbte ihr goldgrünes Laub silbrig. Von der Anhöhe, an deren südlicher Flanke der Wandernde Hain in diesem Frühling ruhte, konnte man in einer klaren Nacht wie dieser sogar die filigranen Säulengänge des Sommerpalastes in seinem Zentrum erblicken.
    Rutaaura stand an einen mächtigen Findling gelehnt. Ihre hochgewachsene Gestalt verschmolz völlig mit seinem Schatten, und nur ihre Augen fingen das schwache Mondlicht ein und reflektierten es grünlich wie die Nachtaugen einer großen Katze.  Zur Zeit der Frühlings-Jägerin sandte der Wandernde Hain seinen zwingendsten Ruf aus, und um diese Jahreszeit hatte sie ihm noch nie widerstehen können. Ganz gleich, in welchen abgelegenen Teil des Landes ihre ruhelose Reise sie geführt hatte, sie musste sich auf den Weg machen und an den Ort ihrer Geburt zurückkehren. 
    Das abgeschabte Leder ihrer Stiefel knarrte leise, als sie um ein Geringes ihre
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