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Elbenzorn

Elbenzorn

Titel: Elbenzorn
Autoren: Susanne Gerdom
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spürte, dass du in der Nähe bist.«
    »Ich bin von Norden gekommen und musste den Hain erst umrunden«, erwiderte Rutaaura. »Du weißt, dass ich nicht gerne bei Tag durch dieses Gebiet reise.«
    Iviidis nahm den Arm ihrer Schwester und zog sie unter die Pergola. »Hier können wir uns ungestört unterhalten. Sag, wie geht es dir?«
    Iviidis hatte einen Krug mit verdünntem Wein und eine Schale mit Brot und Früchten auf die Bank gestellt und lud ihre Schwester mit einer Handbewegung ein, sich zu bedienen. Sie zog die Füße auf die Bank und hüllte sie in ihren weichen wollenen Umhang, denn die Nachtluft war kühl. Dann füllte sie einen Becher mit Wein und nippte daran.
    »Es geht mir gut, wie immer«, erwiderte Rutaaura ein wenig steif, denn sie war es nicht gewöhnt, Unterhaltungen mit anderen Elben zu führen. Sie schob die Kapuze in den Nacken und zog an ihrem Zopf, der sich in den Falten ihres Mantels verfangen hatte. Einige helle Strähnen lösten sich daraus und kringelten sich in ihrem Nacken. Es bereitete ihr Unbehagen, ihr dunkles Gesicht so schutzlos den Blicken der anderen Elbin auszuliefern, aber Iviidis war ihre Schwester und durch ihre regelmäßigen Treffen in all den Jahren an ihren Anblick gewöhnt. Trotzdem bemerkte Rutaaura, dass ihre Schwester unwillkürlich vor ihr zurückwich.
    »Es tut mir leid«, sagte die Elbin und griff nach Rutaauras Hand. »Wir haben uns so lange nicht gesehen …«
    »Schon gut«, erwiderte Rutaaura und zog ihre Hand weg. Um der Geste die Schroffheit zu nehmen, griff sie nach einem Stück Brot. Iviidis war das einzige Mitglied ihrer Familie, das sich nicht von ihr losgesagt hatte und sie immer, wenn sie kam, schwesterlich und warm begrüßte. Sie nahm ihr diese kurzen Momente des Erschreckens nicht übel.
    »Ich bin froh, dass du meine Schwester bist«, sagte Rutaaura etwas unbeholfen. »Wie geht es deinem Kind?«
    Iviidis’ Gesicht hellte sich auf. »Er wächst und gedeiht«, erwiderte sie lebhaft. »Ich würde ihn dir so gerne zeigen …«
    »Willst du, dass der Junge Albträume bekommt?«, erwiderte ihre Schwester mit trockenem Humor. »Es mag ja sein, dass du ihm nichts über … die Schweigsamen erzählst, aber er wird die Gruselgeschichten dennoch alle kennen.«
    Iviidis’ Lächeln erlosch. Sie berührte kurz Rutaauras Hand und wechselte dann das Thema. »Bist du weitergekommen mit deiner Suche?«
    Rutaaura zuckte die Achseln. Sie brach ein Stück von ihrem Brot ab und schob es in den Mund. In dem Schatten, der ihr Gesicht war, blitzten helle Zähne auf. 
    »Sie sind überall und nirgends«, antwortete sie schließlich. »Es ist fast, als wollten sie sich nicht finden lassen. Ich höre von ihnen, ich komme an den Ort, wo sie sein sollen, aber sie sind fort.« Sie seufzte leise und lächelte dann, was ihre hellen Augen unvermutet aufstrahlen ließ. Iviidis lächelte zurück, aber eine kleine Sorgenfalte stand dabei auf ihrer Stirn.
    »Warum gibst du es nicht einfach auf?«, fragte sie. »Was versprichst du dir davon? Die Schweigsamen sind ruhelose Wanderer, und nichts von dem, was sie tun, trägt Heil in sich. Was willst du von ihnen, wenn du sie findest?«
    Rutaaura lehnte sich gegen die warme, ein wenig raue Holzwand des Hauses und streckte die Beine aus. Sie betrachtete ihre abgetragenen, zerschrammten Stiefel. Ihr abwesender Blick wanderte weiter über das ausgeblichene Schwarz ihrer Hose und blieb an einem kleinen, ausgefransten Riss im Saum der wattierten Weste hängen. Gedankenlos zog sie an einem losen Fädchen und beobachtete, wie der Riss sich erweiterte.
    »Hier bei euch ist kein Platz für mich«, sagte sie schließlich. Sie sagte es ohne Anklage, aber ihre Schwester zuckte dennoch zusammen. Rutaaura legte ihre Hände um die Kante der Bank und beugte sich leicht vor. »Wenn es denn keine Heimat für mich gibt, dann muss ich doch nach denen suchen, die genauso heimatlos sind wie ich. Sie sind meine Art und meine Familie, mehr als Lootana und Glautas und selbst du. Verzeih mir«, fügte sie sanft hinzu, als sie Iviidis’ Betroffenheit sah. »Ich habe dich sehr gern, und du hast mir immer das Gefühl gegeben, willkommen zu sein. Das ist jedenfalls mehr, als ich von jenen behaupten kann, die mir beständig aus dem Weg gehen.« Sie seufzte und wechselte das Thema. »Was gibt’s Neues am Hof?«, fragte sie und spürte, wie die Anspannung aus Iviidis’ Schultern wich.
    Iviidis nahm eine Traube aus der Schale mit Früchten. »Das ist das Neueste,
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