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Elbenzorn

Elbenzorn

Titel: Elbenzorn
Autoren: Susanne Gerdom
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nicht, was.
    Horakin richtete sich auf und blickte sich um. Es war dunkler als gewöhnlich, fast, als wären draußen am Himmel Wolken aufgezogen. Die vom Kissen zerraufte goldbraune Mähne fiel ihm ins Gesicht, als er den Kopf neigte, und er strich die Strähnen nachlässig hinter seine spitzen Ohren, während er lauschte. Nichts. Kein Laut war zu vernehmen. Er runzelte die Stirn und schwang die Beine aus dem Bett. Irgendetwas hatte seinen Schlaf gestört, und er wollte den Grund dafür herausfinden.
    Seine nackten Füße trugen ihn über den kalten Steinboden zum vergitterten Fenster. Er blickte hinaus, aber selbst der scharfe Elbenblick konnte das unnatürliche Dunkel nicht durchdringen.
    »Bei den ewigen Mächten«, murmelte er. »Was geht hier vor?« Die Ahnung einer Bewegung in seinem Rücken ließ ihn herumfahren. Jemand stand hinter ihm. Er hob die Hand, um einen Elbenfunken aufleuchten zu lassen, aber das kleine blaue Feuer an seinen Fingerspitzen erlosch, ehe es zu mehr als einem Glimmen geworden war – doch der matte Schein hatte ausgereicht, um ihm für einen Sekundenbruchteil zu zeigen, was da vor ihm stand. Ein Albtraum aus der finstersten Unterwelt, ein leibhaftiger Dämon, der ihn mit kaltem Blick ansah!
    Seine Finger schlossen sich fester um den harten Griff des Dolches. Er wich unwillkürlich zurück, bis sein Rücken an das Fenster stieß. In keinem Schlachtgetümmel hatte er je eine solch zwingende, berstende Angst verspürt – nicht einmal bei seinem ersten Kampf gegen einen Ork, dessen Hieben mit einem krummen Schwert er damals nur um Haaresbreite entkommen war. Jetzt aber zitterten seine Hände, und der kalte Schweiß brach ihm aus, etwas, das er zuletzt als blutjunger Leutnant erlebt hatte, als er gemeinsam mit menschlichen Magiern gegen den großen Drachen von Thal ausgezogen war.
    Er zwang seinen keuchenden Atem zur Ruhe und erhob seine Waffe. Sie war so unzulänglich wie das Spielzeug eines Kindes. Sein Schwert hing dort hinten an der Tür, unerreichbar und damit doppelt nutzlos, ebenso wie der starke Speer, der in der Ecke lehnte. Aber keine elbische Waffe taugte gegen diesen Gegner, der ihm mit einem Atemhauch, einem Wink mit dem Finger das Leben nehmen konnte.
    Eine schwarze Hand berührte federleicht seine um den Dolch geballte Faust, und die Waffe klirrte zu Boden, als seine Finger erschlafften. Hilflos starrte er seinem Verhängnis ins dunkle Antlitz. Er, der in keiner Schlacht je von einem Gegner entwaffnet worden war, ließ nun wehrlos wie ein Säugling zu, dass die sanften Finger des Schweigsamen zart wie Schmetterlingsflügel seine Brust und seine Schläfe berührten und ihm Atem, Augenlicht und Lebensfunken raubten.
    Als Leutnant Antanas, der Adjutant des Kommandeurs, in der Morgendämmerung aus Horakins Quartier stürmte und die Tür hinter sich zuschmetterte, war seine ewig besorgte Miene dem Ausdruck schieren Entsetzens gewichen. Er befragte die junge Gardistin Broneete mit rauer Stimme nach den Vorkommnissen der Nacht. Broneete erinnerte sich zwar noch daran, dass sie einmal für ein paar Atemzüge die Augen geschlossen hatte, weil sie so brannten, aber das hielt sie nicht für erwähnenswert. Jeder wurde einmal müde bei einer Nachtwache, aber da sie schließlich nicht eingeschlummert war, hatte das keinerlei Bedeutung. Sie gab ihm also zur Auskunft, dass nichts, aber auch gar nichts Bemerkenswertes vorgefallen sei. Sie habe nichts gehört, nichts gesehen, die Wache sei vollkommen ereignislos verlaufen.
    Der sonst so beherrschte Adjutant fuhr die Gardistin grob an, sie solle sich nicht von der Stelle bewegen und niemanden Kommandeur Horakins Quartier betreten lassen, bis er zurück sei, und rannte den Gang hinunter, als würde er von den leibhaftigen Dunklen verfolgt …
    Niemand dachte im Laufe des nun folgenden Vormittags daran, die Wache ablösen zu lassen. Mit zitternden Knien verfolgte Broneete die zuerst heimlich, dann immer offener vollzogenen Treffen, Untersuchungen, Diskussionen in und vor Hauptmann Horakins Quartier. Sie hatte einen schnellen Blick in das Zimmer werfen können, als die erste Gruppe von Offizieren, allen voran Kommandeur Horakins Stellvertreter Vilius, Leutnant Antanas durch die Tür folgte. Sie hatte gesehen, dass der reglose Körper des Kommandeurs mit verrenkten Gliedern unter dem Fenster auf dem Boden lag – etwas wahrhaft Schreckliches, Undenkbares war geschehen, während sie vor dem Quartier Wache gehalten hatte!
    Der Vormittag wandelte
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