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El Camino Amable

El Camino Amable

Titel: El Camino Amable
Autoren: Marlies Curth
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einmal abzubeißen. Ich lehne ab, bedanke mich für seine Freundlichkeit und reiche ihm im Gegenzug ein paar trockene Salzkekse aus dem Automaten. Die eineinhalb Stunden, bis die Rezeption aufmacht, vergehen wie im Flug. Als ich mich zur Registrierung in die Albergue aufmache, erhebt er sich auch. Eigentlich hatte er heute noch ans Meer fahren wollen, aber so ein Gespräch sei doch auch etwas Gutes, und nun würde er spontan einen Freund in der Nähe besuchen, mit dem er auch schon lange nicht mehr geredet habe. Als er mir die Hand zum Abschied gibt, reicht er mir auch nacheinander beide Wangen zu einem spanischen Küsschen: „Damit du weißt, wie man das in Santiago macht.“ Damit trennen wir uns und jeder geht lächelnd seinen Weg.

    Den Nachmittag verbringe ich im Windschatten der Treppen in dieser unpersönlichsten aller Herbergen. Sie ist wirklich ohne jeden Ausdruck, ohne Herzlichkeit. Und sogar der freundliche Gruß „Buen Camino“, der außerhalb dieses Geländes eine Selbstverständlichkeit ist, existiert hier nicht. Auf dem Flur vor den Zimmern grüßt man sich nicht einmal mit „Hola“. Es ist langweilig und trist und ich bin so kontaktlos wie zu Beginn des Camino. Die meisten Pilger hier sind Pfadfindergruppen. Eigentlich wollte ich hier kochen, aber in dem Supermercado am Platze gibt es nur Chips und Snacks und keine Grundnahrungsmittel. Die wollen wohl ihrer Cafeteria keine Konkurrenz machen. Also gehe ich zum Essen in die Cafeteria und versuche, mir aus dem „Pflichtmenü“ etwas zusammenzustellen. Man kann hier nämlich nur das Menü wählen, keine „raciones“, keine Einzelgerichte. Ich habe einen Sonderwunsch, denn ich möchte aus der Auswahl für das erste Menü zwei Gerichte anstatt aus der ersten und der zweiten Auswahl je eines. Es dauert lange, bis das Mädchen an der Kasse versteht, was ich möchte. Sie spricht nur Spanisch - ich möchte behaupten, wie fast alle Spanier, die ich am Camino getroffen habe. Wenn man hier als Ausländer kein Spanisch kann, wird es wirklich schwierig. Zuerst fand ich das ärgerlich. Am Camino, der so international begangen wird, sollte ein Hostalero, eine Verkäuferin, eine Dame an der Touristeninformation oder ein Kellner zumindest noch Englisch oder Französisch sprechen. Irgendwann hat sich meine Einstellung geändert und nun denke ich, dass es eigentlich andersherum sein sollte. Jeder, der ein fremdes Land betritt, sollte sich um dessen Sprache bemühen. Warum also kann ich kein Spanisch?
    Letztendlich klappt aber immer alles, so auch heute. Ich darf aus dem ersten Menübereich zwei Angebote wählen.
    Aber wenn man allein isst, schmeckt alles ein bisschen fad.

26. Tag

Monte de Gozo - Santiago de Compostela

    Als ich um 8.30 Uhr aufbreche, ist es kühl und windig. Nur noch fünf Kilometer bis Santiago! Durch die äußeren Wohn- und Geschäftsgebiete führt der Weg in die Stadt, um dort allmählich zu versickern. Es sind kaum noch gelbe Pfeile zu sehen. Und da hieß es vorher, jeder, der in Santiago ankommt, würde seinen ganz persönlichen „Empfang“ bekommen. Wenn das so weitergeht, laufe ich mehrfach um Santiago herum, statt in der Kathedrale anzukommen. Etwas enttäuscht gucke ich irgendwann vom Straßenpflaster hoch. Es ist nach wie vor sehr windig und kühl, obwohl der Himmel blau ist. Keine einzige Wolke ist zu sehen - und dann muss ich tief Luft holen. Ich bekomme gerade meinen ganz persönlichen Empfang und hätte es fast nicht gemerkt!
    Es steht sehr wohl eine Wolke am Himmel, eine einzige, und die hat eindeutig die Form einer Jakobsmuschel. Ich sehe mich um und stelle fest, dass ich zurzeit der einzige Fußgänger auf der Straße bin. Damit steht fest: Die Muschel ist für mich! Welch ein Empfang!

    Ich irre ein wenig in den engen Straßen von Santiago umher, bis ich auf dem Platz vor der Kathedrale ankomme. Es ist 9.30 Uhr. Kühl, windig, der Platz und die Kathedrale liegen im Schatten. Alles ist grau. Vor dem Treppenaufgang zur Kathedrale befindet sich ein kunstvoll geschmiedetes Gitter. Es ist verschlossen.

    Da bin ich nun. Angekommen. Es ist ein großes Gefühl, 650 Kilometer gelaufen zu sein für diesen Augenblick. Aber Euphorie gehört nicht zum Potpourri der Gefühle in diesem Moment. Dann kommt der Engländer aus Liverpool (seinen Namen kenne ich nicht, aber es ist immerhin ein bekanntes Gesicht) auf mich zu, gratuliert mir zur Ankunft und gibt mir den Rat, die Pilgerurkunde lieber am Vormittag aus dem Pilgerbüro abzuholen,
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