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EisTau

EisTau

Titel: EisTau
Autoren: Ilija Trojanow
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Zweifler, Reizhusten, ich habe Pillen für alles, manche machen dich größer, andere machen dich kleiner, und manche lassen dich vergessen, und die richtige Antwort lautet: Das dickste Buch ist das Buch der Rekorde, Glückwunsch, ich danke euch allen, Dosenfleisch, ich liebe euch alle BREAKING NEWS GEKAPERTES SCHIFF VON SPEZIALEINHEITEN GESTÜRMT BREAKING NEWS GEKAPERTES SCHIFF VON SPEZIALEINHEITEN GESTÜRMT ist doch in hohem Maße verdächtig

XI.   
S 64°50´3´´W 62°33´1´´
    Unter mir liegt Neko Harbour (kein Ort ist mir lieber, weiterhin), die Zunge eines Gletschers, eine ovale Bucht, dahinter eine Meerenge, gesäumt von jäh aufragenden Bergen, von den Buckeln gewaltiger Geschöpfe im Sommerschlaf; unter mir fliegen Dominikanermöwen langgezogene Spiralen. Das Schiff in der Bucht wirkt winzig, unbedeutend, als könnte es mit einer Fernbedienung zum Verschwinden gebracht werden. Ich atme den Anblick ein, bis er mich durchströmt, meine Blutbahnen und Hirnwindungen. Jeremy sitzt auf einem schneefreien Stein, der Gletscherseite zugewandt, bemüht, aufzunehmen, wie Eisbrocken ins aufgeschäumte Meer krachen. Er richtet seine Kamera auf mich, ohne Warnung, was für ein Glück, hier kommt der Hauptdarsteller des neuen Blockbusters »The Penguin Strikes Back«, verraten Sie uns bitte, wann ist Ihnen bewußt geworden, daß Sie antarktische Kreuzfahrtgeschichte schreiben werden? Als Antwort gebe ich eine angewiderte Grimasse zum besten. Die Kamera zuckt nicht einmal. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Pinguin zu benutzen, um eine Nervensäge auszuschalten? Von mir nur Kopfschütteln. Jeremy springt auf und stampft mit seinen schweren Stiefeln um mich herum, bombardiertmich mit weiteren Fragen, während ich Löcher in die Luft schlage, um diesen Aufdringling zu verjagen. Eine letzte Frage, erlauben Sie, wer wird den Pinguin spielen, wenn Sie uns wenigstens das verraten könnten? Der Schnee ist nicht fest genug, um sich darauf schnell zu bewegen, unser Lachen ist leichtfüßiger. Cut. Professor Z, warum lieben Sie das Eis so sehr? Jeremy ist stehengeblieben, seine Brille ein wenig beschlagen.
    – Wegen seiner Vielfalt.
    – Können Sie uns das näher erklären?
    – Das Schönste, was es gibt auf Erden: Vielfalt.
    – Nun ja, gewiß, wir alle lieben Vielfalt, aber im Eis?
    – Nichts ist so vielfältig wie Eis. Ein fester Körper, der Gas und Wasser in sich trägt.
    – Wie auch der Mensch. Cut. Wir sehen einen Professor auf der Anhöhe über Neko Harbour, der ernst zu bleiben versucht, obwohl er gerne lachen würde, es ist der Ernst der Lage, der ihn dazu zwingt, er hat den Ernst der Lage erkannt.
    – Machen Sie sich nur lustig, es ist ja eh alles so lustig.
    – Gut, werden wir ernst. Cut. Zeno, was ist in diesem Augenblick dein sehnlichster Wunsch?
    – Ich möchte hierbleiben, Jeremy.
    – Du würdest es nicht schaffen, hier zu überleben.
    – Wer weiß, mit dem Zelt und dem Rucksack und mit Trockenproviant.
    – Der Kapitän würde mir einen Orden verleihen, vielleicht sogar eine Gehaltserhöhung, wenn ich dich hier zurücklassen würde, nein, warte, es geht nicht, Paulina würde mir den Kopf abreißen.
    – Ich bin müde.
    – Schon zu Anfang der Saison?
    – Ich bin es müde, Mensch zu sein.
    – Du bist schon in Ordnung, Mr. Iceberger. Manchmal ein wenig schief gewickelt, aber …
    – Nicht ich zu sein, Jeremy, Mensch zu sein.
    Jeremy tritt einen Schritt nach vorn, noch einen, umarmt mich, unerwartet, es ist ein dem Abschied vorbehaltenes Ritual, ich erwidere seine Umarmung, ich drücke ihn fest, zu fest, er schreit auf, nicht zum Scherz, ich höre etwas aufprallen, begleitet von einem Fluch, voneinander gelöst sehen wir, wie die Full-HD-Videokamera den steilen Abhang hinter dem schneefreien Stein hinunterrollt, von einer kleinen Schwelle im Schnee fast aufgehalten wird, wir könnten runterklettern, geht mir durch den Sinn, doch sie rutscht weiter hinab, nimmt Fahrt auf, ist schon aus unserem Blickfeld verschwunden, wir stehen da wie zwei Ringer nach einem vorzeitig abgepfiffenen Kampf, spitzen die Ohren, warten auf das Geräusch, wie sie ins Wasser plumpst, doch es bleibt aus. Wir starren uns an. Obwohl ich kein Wort über die Lippen bringe, muß mir das Bedauern ins Gesicht geschrieben sein, denn Jeremy beeilt sich, uns beide zu trösten: Kein Problem, das Interview mit dir war eh lousy , die Kamera ist versichert, und Neko Harbour habe ich schon bei
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