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EisTau

EisTau

Titel: EisTau
Autoren: Ilija Trojanow
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die erste Reihe setzen und jedes ihrer Worte mitschreiben werde, an unserem länglichen Holztisch voller unverbindlicher Einkerbungen verspricht er dies vor jedem Auslaufen, this time, swear to heaven , die Walfischfrau zwickt ihn in den Arm, Englisch spricht sie mit deutschem Akzent, Deutsch mit spanischem Anklangund Spanisch mit chilenischer Einfärbung. Und doch wird es nichts werden mit seiner education cetacean . Gewiß ist, am Ende dieser Reise wird er mit einer Kochmütze in der Hand herumgehen und Trinkgelder für die Männer in der Küche sammeln, während sich diese vor dem geschwungenen Büfett aufreihen, um alle miteinander ein Lied zum besten zu geben, auf tagalog. Es klingt wie die Hymne an den unbekannten Diener und wird jedesmal mit tosendem Beifall quittiert.
    Am Tisch sind auch die Lektoren der MS HANSEN versammelt, Urlauberausbilder mit anderem Wort, so wie ich einer gewesen war, drei Jahre lang, bis mich gestern gleich nach meiner Ankunft der Kapitän zu sich rufen ließ, um mir zu eröffnen, daß der Expeditionsleiter überraschend in Buenos Aires ins Krankenhaus eingeliefert worden sei, mit Verdacht auf Schweinegrippe, er werde unter keinen Umständen auf diese Etappe zu uns stoßen können, im besten Fall würden wir ihn am Beagle-Kanal wieder aufsammeln, bis dahin müsse Ersatz gefunden werden, er traue mir die nötige Kompetenz zu, ich sei kundig, engagiert, lebensklug (wenn auch gelegentlich über das Ziel hinausschießend, ergänzte sein Blick), und über ausreichende Erfahrung an Bord verfügte ich zudem. Ich wollte weder zustimmen noch ablehnen, also nahm ich die Mappe mit den Instruktionen entgegen. Von nun an werde ich viel zuviel Zeit an Funkgerät und PA-System verbringen, um die Passagiere in Kenntnis zu setzen über das Wetter, die Route, das nächste Ziel. Ein jeder von uns Lektoren besitzt hochspezialisierte Kenntnisse der Ozeanographie, Biologie, Klimatologie oder Geologie, ein jeder von uns versteht es, unterhaltsam und lehrreich von Tieren Wolken Felsen zu erzählen, ein jeder von uns ist Flüchtlingauf seine verquere Weise, we’re nowhere people , diesen Spruch hat El Albatros gemünzt, unser Ornithologe aus Uruguay. Mr. Iceberger , er nickt mir zu, auch er nennt mich so, manche haben meinen Taufnamen Zeno noch nie benutzt, andere wissen nicht, wie sie ihn aussprechen sollen, ob Zen-oo oder Ze-no oder Seij-no (aus dem Mund unseres kalifornischen Jungspunds Jeremy, dessen Großvater ich fast sein könnte). Das sind Nebensächlichkeiten, denen ich keine Bedeutung beimesse; mich beschleicht der Verdacht, die Kollegen verkleiden mit diesem Spitznamen ihre Überzeugung, ich sei ein Sonderling. Es ist merkwürdig, wenn man unter Passionierten als zu leidenschaftlich gilt.
    Beate war tagsüber mit einer Gruppe von Passagieren im Nationalpark, wo die Pfade sich die Buchten entlangwinden, die Sonnenstrahlen seitlich einfallen und wie Schmetterlinge auf einzelne Blätter niedergehen, jeder von uns hat den leichten Spaziergang durch den patagonischen Urwald schon einmal unternommen, doch heuer ist ein neuer Gehweg eröffnet worden, und Beate, die Gewissenhafte, möchte nicht in die Verlegenheit geraten, weniger zu wissen als einer der Touristen, und sei es auch nur über einen gestrichelten Pfad zu einer weiteren Bucht. Daher ist sie, wie sie ausführlich erzählt, in einem der von »1« bis »5« durchnumerierten Autobusse mitgefahren, vorbei am südlichsten Golfplatz der Welt, über das Ende der Carretera Panamericana hinaus, bis zu einem breit ausgewalzten Parkplatz, zwei Exerzierplätze groß, auf dem aliens in der Natur landen, von wo aus es über eine kleine Treppe aus lackiertem Holz zum Pfad hinabgeht. Wie viele Wale hast du gesehen? fragt Ricardo im Scherz. Einen, antwortet Beate. Einen Wal, wie ist das möglich? Einen Einzelgänger?Ein Jungtier? Einen gestrandeten Wal, antwortet Beate, ein steinernes Tier, es liegt an Land und setzt Moos an, Kinder dürfen darauf reiten. Sie hält inne. Es liegt da wie ein Memento mori. Sie macht eine längere Pause. So massiv, als könnte es überdauern. Der neue Pfad ist alle zweihundert Meter mit einem Mülleimer ausgestattet und alle zweihundert Meter mit einer Sitzbank, Mülleimer Sitzbank Mülleimer Sitzbank, so pirscht man sich durch den Wald. Unser Führer, sagt Beate, war ein Widerling in hohen Stiefeln, ein porteño , der seinen Sommer in der Frische des Südens verbringen will, was er nicht wußte, machte er mit seinem Falsett wett,
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