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EisTau

EisTau

Titel: EisTau
Autoren: Ilija Trojanow
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a holiday . Je weniger Leute auf dem Schiff verbleiben, desto einfacher wird es für mich werden.
    Von dem Sonnendeck aus sehe ich das SOS mit bloßem Auge, durch den Feldstecher erkenne ich die einzelnen Passagiere, den Blick aufwärts gerichtet zum Helikopter, der eine erste Schleife über ihnen dreht, das Licht blitzt im Objektiv von Dan Quentin auf wie eine Explosion, wie ein visueller Startschuß. Die wenigen Crewmitglieder an der Reling, die als Notbesatzung an Bord geblieben sind, fordere ich auf, eines der Rettungsboote herabzulassen und sich darin bereitzuhalten. Sie nehmen mir meine Behauptung ab, der Kapitän wünsche indiesen Gewässern, bei einem derart stabilen Wetter, auch das geübt zu sehen. Nun bleibt mir nur noch, die Entscheidungsträger zu überzeugen, sich auf das Rettungsboot zu begeben. Das Brummen des Helikopters und das Rattern der Hebevorrichtung begleiten mich ins Innere des Schiffes hinein.
     
     
    Endlich allein. Auf ruhiger See und nicht auf einer Woge der Geschichte, allein auf einem Kreuzfahrtschiff, das sich mit einem Joystick lenken läßt, als sei die Fahrt durch die Eisinseln längst nur noch ein Computerspiel. Track Steering heißt das technische Wunder, es genügt, einen kleinen Hebel umzulegen, damit das Schiff einer zuvor einprogrammierten Route folgt, und wie man diese Route eingibt, das hat mir Vijay, der Navigationsoffizier, eines Hochseetages gezeigt, wir unterhielten uns, über Ladakh und Tibet, sturmlose Überfahrten bestehen aus langweiligen Schichten, über Kailash und Gangotri, ich habe als Ziel das offene Meer eingegeben, so wie er es mir vormachte, einen beliebigen Punkt im weiten Atlantik, es scheint zu funktionieren, das Schiff schneidet durchs Wasser, es wird auch ohne mich vorankommen. Die Brücke verfügt über drei Radargeräte (die See ist schwarz, das Land ist gelb) und zwei Kompasse (magnetisch, elektronisch) – ich werde nichts davon benötigen, ebensowenig wie das Automatic Identification System , das anderen aufzeigt, wo die MS HANSEN sich befindet, und mir mitteilt, was sich ihr nähert. Sie werden mich einholen. Die Fahne habe ich vom Mast am Bug geholt und in den Abfalleimer für plastic waste geworfen.
    Es wird ein langer Tag werden.
    Irgend jemand wird dieses Notizbuch finden, irgend jemand wird es lesen, veröffentlichen oder verheimlichen. So oder so, ich habe kein Bedürfnis, mich weiter zu erklären. Der einzelne Mensch ist ein Rätsel, einige Milliarden Menschen, organisiert in einem parasitären System, sind eine Katastrophe. Ich bin es leid, unter diesen Umständen Mensch zu sein. »Es wäre wundervoll, durch die Straßen zu rennen mit einem grünen Messer in der Hand und zu schreien, bis ich erfriere.« Vor jedem Haus baumelt ein ausgenommener Vogel.
    Früher glaubte ich, ich müßte mich wehren gegen die schleichende Misanthropie, heute ist mir klar, daß wir den Menschen von seinem Sockel stoßen müssen, um ihn zu retten. Was für eine Rolle spielt es, ob er blind oder umnachtet ist, taub oder borniert? Aufschrecken kann ihn nur ein großer Schlag. Ich bin ruhig und entschlossen. Ich lege den Generalschalter um, alle Lichter an Bord erlöschen.
    Es ist höchste Zeit.
    Was mich tröstet? Daß vom Menschen nichts übrigbleiben wird außer einigen Koprolithen.
    Ich werde hinausgehen, wenn es dunkelt, ich werde fliegen, umgeben von Weißblutfischen und Seescheiden, die unter mir schweben, von Rochen, die über mich hinweggleiten, ich werde fliegen, bis mein Blut zu Eis geronnen ist.

12.
    Das sind Traummaße, Kupfer, die Spatzen pfeifen es von den Dächern, das kannste dir abschminken, man muß Opfer von allen verlangen, solange die Nachfrage stimmt, Platin, stellt es niemand in Frage, das nenne ich Effizienz, früher oder später schlägt jedem Stern die Stunde, Eisen, alle Krähen unterm Himmel sind schwarz, Öl, was für Traummaße, wir müssen auf jeden möglichen Notfall vorbereitet sein, lol, überall unerklärliche Verzögerungen, Chrom, wir tun, was wir können, auf seinem Grabstein sollte stehen: Mißtraut den Überlebenden, Augen zu und durch, wer blinzelt, hat halb verloren, Gold, dumm gelaufen, niemand stellt es in Frage außer jenen, die es in Abrede stellen, dagegen kannst du nicht anstinken, natürlich will ich möglichst bald nach Hause, nein, ich stehe nicht absichtlich hier rum und schau mir Tauben an, was weiß ich, wie sie dreinschaut, verunsichert, ja, verunsichert, Kohle, falsch programmiert, da sind wir noch einmal
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