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EisTau

EisTau

Titel: EisTau
Autoren: Ilija Trojanow
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Schmelzen der Gletscher und das drohende Austrocknen des Ganges schon in alter Prophezeiung vorweggenommen worden waren, der heilige Fluß wird eines Tages, müde der unzähligen Sünden, die in ihm abgewaschen wurden, ins Unterirdische entschwinden, selbst unsere Götter werden sich ändern, schrieb Shiva in seiner letzten E-Mail, einen Vorgeschmack darauf erhalte man auf dem Siachen-Gletscher, wo die Abhängigkeit der Soldaten von den Helikoptern so umfassend sei, daß die Männer, besessen von der Allmacht dieser Maschine, die sie nährt und schützt und ihre einzige Hoffnung auf Erlösung von dem irremachenden Dienst in sechstausend Metern Höhe bietet, begonnen hätten, den Helikopter anzubeten, mit kreisenden Lichtern, mit uralten Gesängen, die sie nur geringfügig angepaßt hatten. Wieso nicht Gott als Helikopter, antwortete ich Shiva, das spreche für die Reichweite religiöser Phantasie, es sei der größte Fehler des Christentums, Gott nach menschlichem Ebenbildgeschaffen zu haben. Unterbrochen werden meine Gedankenwanderungen von Gesprächen mit Paulina, einmal die Woche, über Skype, zu einer vorgesehenen Zeit. Ich schätze überraschende Anrufe nicht, weder von Hölbl, der partout nicht einsehen will, daß die Erinnerung an Paulina mich mehr erotisiert als der Anblick von flüchtig bekleideten Langbeinigen aus den Barackenländern der EU, weswegen ich manchmal enerviert den Hörer auflegen muß, noch von meinem Bankberater (eine zutreffende Bezeichnung für einen, der seine Bank berät, auf Kosten des Kunden), der mir schon alles anzudrehen versucht hat, inklusive der faulsten Zertifikate (was für ein verlogenes Wort, weder Sicherheit noch Versicherung). Vergeblich, er hat noch nicht begriffen, daß er mir hoffnungslos unterlegen ist, weil ich nicht unter dem Zwang stehe, Zeit in Geld zu verwandeln. Die Alpen meide ich, ebenso Reisen in die nähere oder weitere Umgebung – bei uns gibt es keine Natur mehr, da kann ich genausogut die gedruckten Kulturlandschaften zwischen zwei Buchdeckeln auf mich wirken lassen.
     
     
    Zerbissene Gletscherfronten, als sei das Meer ein Nagetier. Der Himmel bietet vier verschiedene Schauspiele, über dem Meer andere Wolken als über vier Kilometer dickem Eis, um die Inseln herum geistern aufgebauschte Kumuli, über uns hängt eine graue Plane. Wir fahren durch die Straße der Eisgiganten. Spitze Eisblöcke halten Wache, ihre Leiber gerippt, gemeißelt aus Alabaster. Ausgeklopfte Wände, blaues Kupfer und ein einziger Sturmvogel, zart wie ein dahingeworfener Strich, hundert Einsamkeiten von seinem Nest entfernt. Dasbist du, Zeno, mit Fallgeschwindigkeit stürzt du ins Nichts, auf der Kreidezeichnung des nächsten Augenblicks bist du schon nicht mehr zu sehen.

10.
    Verdacht auf … na, auf was denn? Wo gehobelt wird, fallen auch Späne. Was hat ihn so wütend gemacht? Das kann ich Ihnen sagen, es gibt kaum etwas, das ihn nicht wütend gemacht hat. Das ist nicht sehr hilfreich. Ich werde Ihnen ein Beispiel geben, letztes Jahr war das Schiff auf einer Tour völlig überbucht, zwei Lektoren mußten sich jeweils eine Kabine teilen, wir hatten Trinkwassermangel, zu hoher Verbrauch, und über die Entsalzungsanlage wird Trinkwasser erst bei einer Fahrgeschwindigkeit von über fünfzehn Knoten erzeugt, also mußten wir jede Nacht zur Deception Island fahren und wieder zurück, um genügend Wasser für das Frühstück zu haben, und das mehrere Nächte hintereinander, wenn wir einen Tag länger in der Antarktis geblieben wären, wäre uns der Treibstoff ausgegangen. Und? Das hat ihn richtig wütend gemacht. Ja, hier vor mir, in der großen Bahnhofshalle, völlig weiß ist die Taube nicht, da hast du recht, sie hat einige Flecken Schwarz und zwei braune Streifen, na, an den Seiten, keine Ahnung, wie man das nennt. Wir können Originalaufnahmen bekommen, von einem kolumbianischen TV-Sender, die hatten ein Team an Bord, so einen starken Stoff hatten wir seit dem Vorfall mit dem Tanker nicht mehr, der auf den Hafen zufuhr, wißt ihr noch?, der konnte weder wenden noch rechtzeitig stoppen, wo war das denn? Die Hafenarbeiter sahen die Katastrophe direkt auf sie zukommen, sie hatten fünfzehn Minuten Zeit, alles zu evakuieren. Trockenfutter, Gewinn ist kurzfristig, Sorge ist langlebig, wirmüssen das Ganze eher psychologisch betrachten, Studentenfutter, es überfordert den Menschen, im Sinne einer Zukunft zu handeln, die er nicht mehr erleben wird, Schluckauf, ich bin ein frommer
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