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Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Titel: Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen
Autoren: Siegfried Lenz
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in eine Windschutzscheibe hinein, die ganz undurchsichtig ist vor hartem Glanz, und springt bei Rot auf den Bürgersteig. Die ersten drei Monate hatten sie noch gemeinsam studiert, dann war es Jan, der davon anfing, daß einer das Studium aufgeben sollte; und als er das sagte, wußte sie, wen er meinte. Und hier vor dem Geschäft, in dem Bilder gerahmt, Spiegel angefertigt werden, vor dem Fenster, in dem sehr unterschiedliche Rahmen auf Gesichter und Landschaften warten, erinnert sie sich, wie sehr Jan in der ersten Zeit das Zeremoniell der Heimkehr genoß - er wollte erwartet, er wollte begrüßt und ausgefragt werden, und sie konnte ihm ansehen, wieviel Freude es ihm machte, seine Abwesenheit zu belegen: Und dann bei Jäger Sturm und Drang, heute der Schafschur, du weißt schon, oder heißt es » Die Schafschur«? Neben der Kunstglaserei liegt der Friseurladen, über beiden Geschäften stehen dieselben Namen - vielleicht Brüder, vielleicht gelingt es ihnen, Hand in Hand zu arbeiten, denkt Senta und wird von einer mißmutigen Stimme gleich beim Eintritt aufgefordert, die Tür offenzulassen. Sie wartet vor der Kasse, horcht zu den Kabinen hinüber, in denen elektrisches Licht brennt; Senta ist angemeldet. Das muß sie dem Mädchen bestätigen, das in sehr kurzem, verwaschenem weißem Kittel rückwärts aus einer Kabine tritt und sagt: Wir können nur angemeldete Kunden bedienen. Nur waschen und legen und etwas kürzen. Nehmen Sie Platz. Senta beobachtet im Spiegel die junge Friseuse bei ihrer Arbeit an einer breitnackigen, rotangelaufenen Frau, ihr mißmutiges Hantieren mit Kamm und Wicklern, ihre Ausdauer, mit der sie sich selbst im Spiegel begutachtet, sobald sie der Kundin nahelegt, aufzublicken. Unter dem verwaschenen Berufskittel trägt die Friseuse nur Büstenhalter und Schlüpfer. Warum macht sie das, denkt Senta, warum bleicht sie sich in ihr braunes, schweres Haar silberne Strähnen ein? Jetzt treffen sich ihre Blicke im Spiegel, ein kurzes Messen, ein Abfragen und gegenseitiges Taxieren, dann greift die Friseuse in ein Schubfach: Möchten Sie eine Zeitschrift?
      Senta blättert in der Zeitschrift, während die Friseuse spreizbeinig hinter ihr arbeitet, während sie von der Seite ihren kleinen, weichen Bauch gegen die Ellbogen drückt, während sie das Haar kämmt, die Spitzen kappt. Beide wollen nicht miteinander sprechen, vielmehr scheint ihnen daran gelegen, durch beharrliches Schweigen auf die eigene Überlegenheit hinzuweisen, man hat sich erkannt, man möchte sich gegenseitige Ablehnung fühlbar werden lassen, nicht überdeutlich natürlich. Befallen von Mattigkeit, umgeben von aufdringlichem Wohlgeruch schließt Senta die Augen, rote Punkte schweben durch die Dunkelheit, leicht wie Ascheflocken: was behauptet die Zeitschrift? Fernsehen am Bett begünstigt das Eheleben. Sie müssen sich weiter vorbeugen, ganz übers Waschbecken, danke. Amerikanische Wissenschaftler haben also nachgewiesen, daß gemeinsames Fernsehen im Bett gefährdete Ehen wieder glücklich machen kann. Die Friseuse stürzt Sentas Haar nach vorn ins Waschbecken und sagt gleichgültig: Schließen Sie die Augen. Jetzt starrt sie auf meinen Nacken, denkt Senta und spürt einen heißen Druck im Magen, als ob sie einen sehr heißen Schluck Kaffee zu schnell hinuntergespült hätte. Sie kann sich nicht entspannen.
      Der rostrote Vorhang, der ihr Zimmer vom sogenannten großen Zimmer abtrennt, schließt nicht ganz, sie sieht das Bild der letzten Wochen, wie es sich von ihrem Bett aus bot: Jan vor dem kleinen Rundtisch, nur zur Hälfte im genauen Lichtkreis der Lampe, lesend, rauchend, hin und wieder einige Sätze schreibend, von denen sie wußte, daß sie wortwörtlich abgeschrieben wurden: Was ich geschrieben habe, ich behalte, sagte Jan zur Erklärung seiner Methode. Er war damit einverstanden, daß sie ihn abfragte, bis sie müde wurde, und sobald er entschieden hatte, wann sie müde geworden war, brachte er sie in ihr Zimmer, rauchte eine Zigarette an ihrem Bett und lüftete und kehrte wieder zu seiner Arbeit zurück. Daß er Sprudel und Korn dabei trinken konnte! Wie die Wissenschaftler herausgefunden haben, sind VarietéSendungen und Liebesfilme besonders geeignet, bedrohte Ehen zu kitten; außerdem bescheinigt eine triumphierende Statistik allen Ehepaaren mit Fernsehen am Bett eine zunehmende Geburtenfreudigkeit.
      Sie können sich aufrichten. Ein warmes Handtuch legt sich auf Sentas Gesicht, durch den Stoff hindurch fühlt
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