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Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Titel: Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen
Autoren: Siegfried Lenz
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und den weichen Mund, der den Blicken widerspricht. Ach, das? Jans Lieblingsonkel ist hier gewesen, er hat schon früher davon gelebt, du weißt, in Suwalki, und jetzt lebt er wieder davon, über achtzig hat er in Hamburg verkauft. Deputat, er sagte, dies Stück sei unser Deputat, weil er Jan als Modell benutzt hat. Die Mutter schiebt den rostroten Vorhang zur Seite - das also ist immer noch Sentas Zimmer: der klobige Schrank, der mit jedem Raum einverstanden zu sein scheint, in den man ihn schiebt, die zwischen Schrank und Fensterbrett eingeklemmte Couch, das pendelnde Mobile, ungleich große Fische, die hoffnungslos hintereinander her sind, der Transistor, und an der Wand Marcel Marceau, der gleich einem Schmetterling das Leben zurückgeben wird. Sie besichtigt das Zimmer auf eine Art, die weder Einverständnis noch Vorbehalt deutlich werden läßt, es ist auch keine Neugier, die die hochgewachsene, hellhäutige Frau mit den Sommersprossen an Regalen und Couchen vorbeiführt, allenfalls der Wunsch, mögliche Veränderungen zur Kenntnis zu nehmen, ganz für sich. Aber da ist ein Zwischenraum.
      Ich hab euch Blumen mitgebracht, Senta, sagt sie gegen den Schrank, der einst ihrer Mutter gehörte, und Senta, die sich den grünen Pullover über den Kopf zieht und barfuß näherkommt: Wir haben nur eine Vase, Mammi, ich glaube, im Badezimmer. Entschuldige, ich hab ein irrsinniges Programm: zum Friseur und den Tisch bestellen, und für abends einkaufen, wenn die andern kommen. Und baden. Kannst du das machen ? Senta zieht einen Rock an, eine Bluse, angelt sich ein paar Schuhe mit hohen Absätzen, kämmt vor dem großen Spiegel energisch ihr Haar durch, wobei sie den Kopf schräg legt. Nein, Mammi, ich bedaure nicht, daß ich das Studium aufgegeben habe, es genügt, wenn Jan das Examen macht, uns beiden genügt es. Du weißt, er ist wie die Leute in seiner Heimat: die machen alles mit Bedacht, sie sind nicht zimperlich, wenn sie sich auf die nächsten Jahre festlegen, und wenn sie sagen: erst kommt dies, und dann das andere, dann halten sie sich auch an diese Reihenfolge.
      Sie stürzt mit einem kleinen Schrei ins Nebenzimmer, die Zigarette ist vom Aschenbecher gefallen, der Glutklumpen hat dem selbstgebauten Nachttisch wieder einen untilgbaren Fleck eingebrannt; Senta ist so aufgebracht darüber, daß sie die Zigarette in die Küche trägt und sie unter den Wasserstrahl hält: kurzes Aufzischen, das Papier schwärzt sich, die Schwärze zieht bis zum Filter hinauf, die nasse Zigarette fliegt in den vollen Abfalleimer. Senta dreht sich zu ihrer Mutter um, die ihr die Tasche nachträgt, die die Tasche jetzt auf den Küchentisch hebt. Sie legt ihre Handflächen von hinten auf die Oberarme ihrer Mutter, drückt, drückt kräftiger, als wollte sie den breiten Oberkörper zusammenschieben. Entschuldige, es hängt soviel davon ab, alles läuft auf diesen Tag zu, es ist wie ein Nadelöhr: wenn man sich erst durchgezwängt hat, wird's leichter. Es ist doch auch, in gewisser Hinsicht, mein Examen. Ich verstehe das doch, sagt die Mutter, und nun kümmre dich nicht um mich: ich find mich hier schon zurecht, soviel hat sich ja noch nicht verändert bei euch, in den vier Monaten. Mach dir was zu trinken, Mammi. Ja, ja.
      Da ist die Hängetasche aus Stoff, dort auf dem Bord liegt die Sonnenbrille, jetzt nur noch ein Band, ein Samtband, um das Haar zurückzubinden: ist der Spiegel einverstanden? Senta drückt einen kurzen farblosen Wurm aus einer Tube mit Feuchtigkeitscreme, sie zerreibt den Wurm zwischen den Handballen und streicht kraftvoll über Stirn und Wangen. Sie schiebt das Kinn vor, grimassierend, piranhahaft, saugt mit der Unterlippe die Oberlippe ein, da fehlt etwas Karmesin, also stülpt sie die Lippen auf, rundet sie, zieht den Stift vom Mundwinkel zur Mitte, schmatzt trocken, bleckt die Zähne, schiebt vorsichtshalber ein Tempotaschentuch zwischen die Lippen und drückt die Lippen zusammen, die einen Abdruck auf dem Taschentuch zurücklassen. Nun noch die Schweißperlen von der Nase tupfen, den Hals abreiben: Stimmt es, Mammi, daß wir über 25 Grad Wärme haben? Na, ich geh' jetzt, tschüß.
    Wie kühl es im Treppenhaus ist, die Kühle steigt vom
    gefeudelten Linoleum auf, das die Feuchtigkeit zu bewahren scheint. Sie sieht eine Treppe unter sich eine Hand auf dem Geländer und einen blauen Ärmel; klatschend greift die Hand höher und höher, gewinnt den Treppenabsatz, und nun erkennt Senta eine Schulter, in die
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