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Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Titel: Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen
Autoren: Siegfried Lenz
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gehend das zur Kugel eingerollte Einkaufsnetz aus der Hängetasche, liest die mit Schlemmkreide auf das Schaufenster geschriebenen Sonderangebote: Bulgarische Himbeeren, Geflügelklein, neue Kartoffeln. Sie bleibt stehen und beweist, wieviel unerwartete Gründe es gibt, stehenzubleiben: erschrocken wendet sie sich um, hebt den rechten Fuß, blickt auf den Absatz, streckt den Fuß nach vorn aus, eine kurze, kreisende Bewegung, dann geht sie weiter und ins Geschäft. Guten Tag, Frau Stasny.
      Beide sagen es, Feinkost-Grützner und Feinkost-Sohn, gleich werden sie auf fettigen Messern Wurst- und Käsescheiben zum Probieren anbieten, doch zuerst kommt die Bekundung familiärer Anteilnahme, und das heißt, daß beide sozusagen von Herzen ihrer Hoffnung Ausdruck geben, daß das Wetter den Urlaub von Herrn und Frau Stasny nicht vermiest habe, worauf Senta sagt, daß sie mit ihrem Mann noch nie verreist sei; da hat man natürlich das Wetter für den ins Auge gefaßten Urlaub gemeint. Wo ist denn der Zettel? Sie weiß, daß sie alles aufgeschrieben, den Zettel in die Umhängetasche gesteckt hat - macht nichts, ich hab alles im Kopf. Heiner und Charles trinken nur Bier, Jan hat am liebsten Sprudel mit Korn - eine Flasche Doppelkorn, bitte. Sekt ist wohl unumgänglich, sagen wir: drei Flaschen Sekt. Nein, keine Familienfeier, mein Mann sitzt gerade im Examen. Danke, aber es ist noch nicht bestanden. Ihm macht die Hitze nicht soviel aus. Liebe Frau Stasny, sagt der Feinkost-Sohn, wir werden Ihre Examensfeier würdig ausstatten; solch einen Satz kriegt der fertig, und da er nun weiß, daß es insgesamt acht Personen sind, die Jan Stasny auf gebührende Art feiern werden, erlaubt er sich Vorschläge zu machen. Salzstangen, zum Beispiel, man knabbert doch gern etwas zwischendurch. Oder hier, sehn Sie mal, diese Gürkchen im Glas. Senta schüttelt den Kopf. Es soll nicht hoch hergehn, verstehen Sie, und sie wird auch nicht lange dauern, die Examensfeier, vielleicht anderthalb Stunden. Sie blickt auf die Schüsseln mit Heringssalat, mit Majonnäse, mit ausgelassenem Fett, in dem die Grieben wie Rostflecke sitzen. Da liegen, angequetscht, Zellophanbeutel mit Geflügelklein; in dem blassen Rosa schimmern gelbliche Flomenlappen. Hier die eingelegten Heringe im trüben Sud; das Fleisch scheint flockig, scheint sich von den Rändern her aufzulösen. Ein angeschnittener Schinken wirbt um Aufmerksamkeit, schwitzende Dauerwürste machen sich bräsig, ziehen den Blick auf sich. Vielleicht etwas Käse? Selbstverständlich.
      Senta bekommt ihren verlorenen Blick - so nennt es Jan, wenn sich ihre Lider zusammenziehen, wenn der Mund aufspringt, und sie eine Hand mit gespreizten Fingern an den Hals legt. Ein unerklärlicher Druck, eine rätselhafte Stauung machen sich bemerkbar. Senta versucht diese Beanspruchung durch Schluckbewegungen auszugleichen und netzt ihre Lippen, um den säuerlichen Geschmack loszuwerden. Wie bitte? Sie hat die Frage nicht verstanden. Sie dachte daran, daß Jan in seiner eigensinnig planenden Art ein Hotelzimmer für diese Nacht bestellt hat - sie konnte es ihm nicht ausreden -, und daß sie nach der kurzen Examensfeier die Freunde allein lassen und ins Hotel ziehen werden. Auch ein Beutel Salzmandeln, ja. Schließlich, in den letzten Tagen merkte sie, wie sehr sie sich selbst darauf freute, nicht allein deswegen, sondern weil das Examen dann hinter ihnen liegen würde, das ihm - sie hatte es längst herausbekommen - einfach wegen der geringen grammatikalischen Fehler bevorstand, die er immer noch machte.
      Der Feinkost-Sohn, glattgekämmtes, pomadiges Haar, zwei Fingerkuppen unter Pflaster, stellt die Waren zusammen, nimmt Sentas Blick eilfertig auf und verlängert ihn zu Regalen und Vitrinen: noch Mixed Pickles? Oder Paprika? Oliven vielleicht, die lassen sich doch immer gut an? Danke. Oliven. Woher der sich seine Sprache besorgt hat. Auf die Frage, ob Senta die Ware auf dem Rückweg mitnehmen dürfe, schiebt er eine Schulter nach vorn und sagt: sehr wohl, aber gewißlich, Frau Stasny, dann bis gleich. Er sieht ihr auf eine Weise nach, als ob er sich überlegte, wofür er sich entschuldigen könnte. Rasch über die Straße, es ist noch grün. Senta geht allein an den wartenden Autos vorbei, die von der Hitze belagert werden; sie spürt, wie man über sie herfällt mit Blicken, wechselt die Gangart, hüpft jetzt, hüpft schwerfällig, es läßt sich nicht wie gewünscht gehen unter den Blicken, und sie lächelt
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