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Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Titel: Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen
Autoren: Siegfried Lenz
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etwas zu erklären als auch vorzuschlagen. In zwei Stunden etwa, wenn der größte Betrieb abgeflaut sei, erwarte sie sein Freund, der Wirt des schwimmenden Restaurants. Zuvor aber - er deutete auf die Kellerkneipe - könnte man hier miteinander sprechen, im »Letzten Anker«.
      Und nun haben sie miteinander gesprochen, und es gilt lediglich Zeit zu überbrücken bis zur vereinbarten Verabredung. Sophia hat den Vorschlag gehört, einen allzu naheliegenden Vorschlag, und sie hat erkannt, was der Besitz der Feder bedeutet. Sie wird sie endgültig vernichten müssen. Ein Streichholz genügt.
      Dieter Klimke schwieg, und Gregor und ich blickten zu den Spielautomaten hinüber: die Frau zündete gerade ein Streichholz an, tauchte die Federspitze in die Flamme, und das leichte Graue krümmte sich in einer Stichflamme und verkohlte unter kurzem Prasseln; den Rest der Feder warf sie in den Aschenbecher. Wollte sie gehen? Sie machte einen Versuch, sich zu erheben, alle Glieder für diese einzige Handlung zu mobilisieren, doch es glückte nicht nach Wunsch, und offenbar um sich für die Enttäuschung zu entschädigen, bestellte sie sich noch einen Doppelstöckigen und schickte eine geringschätzige Handbewegung hinterher. Auch Gregor bestellte uns einen Doppelstöckigen und für Klimke einen heißen Tee mit Zitrone. Die Bestellung bestand nur aus einem kurzen Zuruf, denn Gregor kam und kam nicht von dem ungleichen Paar aus der Ecke los - vermutlich erwog er da Beziehungen, überprüfte mögliche Konflikte, suchte wohl überhaupt nach Bestätigungen für Klimkes Erzählung, und plötzlich entschied er: Nichts, ich sehe nichts, was ihre phantastische Auslegung rechtfertigt. Jedenfalls, die Schmerzlichkeit der Frau rührt nicht daher, daß sie zuviel erfahren hat. Jetzt bist du wieder auf deinem alten Trampelpfad, sagte ich. Weil dir das Phantastische nicht liegt, hat es für dich keine Beweiskraft. Gregor blickte ärgerlich vor sich hin, warf eine Kippe in den Aschenbecher, daß es stäubte. Gut, sagte er und wandte sich an Klimke, dann erklären Sie mir mal, was Sie mit dieser Geschichte meinten, kurz, in einem Satz, den ich auch auf meine Erfahrungen anwenden kann. Auf die Erfahrung der Schwerkraft, fügte ich hinzu. Klimke hob bedauernd die Schultern, er schien sich zu entschuldigen für die Ratlosigkeit, die er bei Gregor hervorgerufen hatte, und in redlicher Verlegenheit sagte er: Ich bin überzeugt davon, daß man die Realität nur aufdecken kann mit Hilfe des Phantastischen. Und was ich mit meiner Geschichte beweisen wollte... nur dies: wir brauchen Mauern, jeder von uns. Aber das alles, sagte Gregor, kann doch nur einen Wert haben, wenn es für meine lausige Realität gilt. Ich gehe ja davon aus, sagte Klimke, daß die Realität nicht gründlicher identifiziert werden kann als durch eine Beweisführung im Phantastischen. Aber wir haben nichts gewonnen, sagte Gregor, und mit einem Blick zu den Spielautomaten: Was wir vorgelegt haben - drei Entwürfe; was wir gewonnen haben - drei Wahrheiten, die zu nichts verpflichten. Wir können hier sitzen und erzählen, solange wir wollen: Dies Paar da drüben wird seine eigene Geschichte behalten, und dieser werden wir uns nie nähern, auch mit geduldiger Erfindung nicht.
      Darauf kommt es ja nicht an, sagte Klimke, was wir versuchen - mit Hilfe der Phantasie die begrenzten Muster zu finden, in denen sich Wirklichkeit erschöpft. Erfahrungssätze, die für uns alle verbindlich sind. Aber das, sagte Gregor, kann man doch erst feststellen, wenn man die andere Seite gehört hat. Ich meine: Erfindung muß in jedem Fall durch Realität beglaubigt werden. Was wir jetzt einfach brauchen, ist die wirkliche Geschichte dieser beiden, denn sie ist ja bisher nicht erzählt. Klimke lächelte, und dann rieb er sich die Hände und sagte: Ich wette, daß etwas aus unseren Geschichten auch auf die beiden zutrifft - eine Stimmung, eine Hoffnung oder eine Erfahrung,
      Los, mein Alter, sagte Gregor zu mir, geh rüber und nimm ihnen die Beichte ab. Klopf mal auf den Busch. Das müssen wir wohl schon gemeinsam tun, sagte ich. Nein, sagte Klimke, zu dritt, das wirkt einschüchternd, eine Bedrohung. Sie sollten es wirklich allein versuchen. Sie blickten mich aufmunternd und dringlich an, solange, bis mir nichts anderes übrigblieb, als aufzustehen und hinüberzugehen zu dem Burschen, von dem ich bereits ein dreifaches Bild hatte. Er warf eine Münze in den Automaten, gewann, ich gratulierte ihm.
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