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Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Titel: Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen
Autoren: Siegfried Lenz
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Verkehrsinsel vor dem kleinen Bahnhof, nehmen sich bei der Hand und springen über die Schienen der Straßenbahn. Im Windschutz des gläsernen Wartehäuschens zünden sie sich Zigaretten an. Aufblickend streift Hebbi die Rampe der Güterverladung, die beladenen Karren und Schubkarren, streift die Telefonzelle, und plötzlich spürt Karen, wie ihr Bruder in der Bewegung innehält, regungslos und leicht geduckt dasteht.
      Was ist, Hebbi? Was fehlt dir? Da, sagt er zögernd, an der Telefonzelle. Der Mann? Der Mann, der dem Kind die Blumen gibt: es ist Vater. Das glaubst du doch selbst nicht ! Er ist es, Karen... der Mann, der sich zu dem Kind beugt... der ihm jetzt Geld gibt. Aber Vater ist tot, sagt Karen. Siehst du, wohin das Kind die Blumen bringt, fragt Hebbi - sie sind für Mutter bestimmt. Unter den Ermahnungen des Mannes nickt das Kind und hüpft fort über die Straße und über die Schienen, bleibt einmal stehen und blickt auf die Münze in seiner Hand, bevor es die Blumen in das Haus trägt, das sie gerade verlassen haben. Es ist Vater, Karen, unbedingt, es kann nur er sein. Du hast Erscheinungen, Hebbi. Dann komm, komm und überzeug dich.
      Eine Hand am Gürtel ihres Trenchcoats, zieht er sie mit sich hinüber zur Laderampe, an der ein kleinwüchsiger Mann mit schnellen Schritten vorbeistrebt, durch eine Passage auf einen Überdachten Vorplatz, von dem es zu den Bahnsteigen geht. Die dunkle Schirmmütze, wie Bahnbedienstete sie tragen oder Leute aus dem Hafen, bewegt sich im Rhythmus der Schritte vor ihnen her, an der Würstchenbude vorbei, am Zeitungsstand, zum Bahnsteig der Stadtbahn. Schnell, mahnt Hebbi, wir dürfen ihn nicht verlieren. Sie laufen, sie erreichen die Bahn, in die der kleine Mann eingestiegen ist, auf jeder Station steigen sie aus und versichern sich, ob er noch im Nebenabteil sitzt, das genügt ihnen, denn bevor sie ihn ansprechen, wollen sie mehr über ihn erfahren.
      Am Hauptbahnhof steigt er aus, bewegt sich auf einmal verhaltener, gemächlicher, schlendert auf einen Blumenkiosk zu, doch nicht, um Blumen zu kaufen, vielmehr stellt er sich schräg vor einen Spiegel und beobachtet die Passanten hinter sich, sie vor allem, die Geschwister, die er zu oft am Abteilfenster hatte vorbeigehen sehen. Seine Wachsamkeit, diese gelassene Vorsicht, erscheint Hebbi als zusätzliche Bestätigung seines Verdachts. Er ist es, flüstert er, das ist Vater, Karen.
      Und plötzlich wendet sich der kleine Mann mit energischem, fast fliehendem Schritt zum Ausgang, verschwindet zwischen wartenden Taxis, taucht vor dem erleuchteten Eingang eines Hotels auf und biegt in eine trübe Seitenstraße ah. Jetzt läuft er. Auch die Geschwister laufen, Hebbi voran, und er erkennt, daß der kleine Mann seinerseits die Verfolger erkannt hat. Seine Fluchtbewegungen haben etwas Lächerliches; der lang fallende Mantel hemmt seinen Lauf, die große Schirmmütze scheint unmittelbar auf dem Mantelkragen zu sitzen. Vor einem Reklameschild stoppt er ab, zieht eine Tür auf, ein Lichtkegel fällt auf den Bürgersteig, schon ist es wieder dunkel, und er ist fort.
      Die Geschwister kommen näher, treten vor das Schaufenster einer zoologischen Handlung, nur der Verkäufer ist zu sehen, ein feierlich wirkender, schlanker Mann in grauem Kittel. Sie übersehen das Angebot - Zwergkaninchen, Meerschweinchen, die ewig turnenden Wellensittiche -, treten ein, und Hebbi fragt: Hier ist doch eben ein Mann reingekommen? Der Verkäufer beugt sich ihnen erstaunt entgegen, sein Erstaunen enthält einen sachten Vorwurf: Ein Mann? Er habe keinen Mann gesehen, aber er möchte gern wissen, womit er dienen könne. Karen, leicht beunruhigt, will ihren Bruder aus dem Geschäft ziehen, da hören sie ein Geräusch aus dem Lagerraum, stürzende Pappkartons vermutlich, worauf Hebbi wortlos einen Vorhang zur Seite wirft und seine Schwester hineinzieht in einen schwach erleuchteten Raum. Papageien geben Alarm, Pinseläffchen, im Schlaf gestört, jagen zähnefletschend durch ihren Käfig.
      Dort, ruft Hebbi, die Tür zum Hof. Sie durchqueren das Lager, laufen auf den Hof hinaus, dort schließt sich die Tür eines Hintereingangs, also wird er dorthin geflohen sein. Dicht nebeneinander stehen sie im Hausflur und lauschen mit erhobenen Gesichtern den leiser werdenden Schritten und dem abnehmendem Keuchen; ein fernes Schlüsselgeräusch, eine zufallende Tür, und jetzt steigen sie die Treppen hinauf.
      Entweder im dritten oder im vierten Stock,
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