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Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Titel: Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen
Autoren: Siegfried Lenz
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ungeeignet.
      Die Wipfel der Buchen regen sich, ein leichter Wind ist aufgekommen; über den Fjord gehen jetzt gemächlich Segelboote. Wolken sind nicht in Sicht. Der junge Zöllner fährt die Buchenallee hinab. Familien wandern zum Strand runter, um ihn noch mehr zu versauen. Eine magere Göre, die sich einen Sandeimer auf den Kopf gestülpt hat, versperrt ihm mit ausgestreckten Armen den Weg. Er reißt das Fahrrad herum, legt einen Zahn zu und kreuzt die Schienen.
      Auf der Ringstraße ist kein Verkehr. Er strampelt im Schatten sehr alter Kastanien. Über manche Balkons haben sie gestreifte Markisen gespannt, darunter sitzen Frauen im Unterrock und Männer mit offenen Hemden. Vor einem Neubau bremst er. Er läßt das Fahrrad am Rinnstein stehen, läuft ins Haus und klingelt mehrmals hintereinander bei Tabert. Eine junge, schwarzhaarige Frau öffnet ihm. Sie erschrickt. Er schiebt sie zur Seite, schließt die Tür und hört sie fragen: Um Gottes Willen, was ist passiert? Der junge Zöllner reißt das Etui auf, hält es ihr hin und sagt: Da! Siehst du was? Mein Dienstglas - es ist weg. Vor vierzehn Tagen die Pistole: heute das Glas. Die Frau geht langsam rückwärts zu einem Stuhl. Sie braucht sich nicht umzusehen, bevor sie sich setzt, denn alle Entfernungen in der Wohnung sind instinktiv vermessen. Mein Gott, sagt sie, das hat uns grade noch gefehlt. Sie wollen mich fertigmachen, sagt er, irgend jemand will mich fertigmachen. Du mußt es melden, sagt sie, und dann: Warum hast du es nicht gleich gemeldet? Der junge Zöllner steckt sich eine Zigarette an, schmeißt das Streichholz durchs Fenster und überzeugt sich, daß das Dienstfahrrad noch am Rinnstein steht. Melden, sagt er, bei Manteuffel einen Diebstahl melden? Der macht doch mich dafür verantwortlich, daß sie mir etwas geklaut haben. Als persönliche Beleidigung sieht der es an, wenn man einen Diebstahl meldet, weil das seine verdammte innere und äußere Sauberkeit bedroht. Denk nur an die Pistole! Manteuffel glaubt noch heute, daß ich sie selbst verscheuert habe. Einen Diebstahl begehen oder melden - für ihn ist das die gleiche Sache. Aber wie, fragt die Frau, wie konnte das nur passieren? Ganz einfach, sagt der Zöllner, das Fernglas war im Spind, und der Schlüssel zum Spind hing am Brett. Es muß einer von uns gewesen sein. Mein Gott, sagt sie, und dir muß es passieren, ausgerechnet dir. Warum kann das nicht Reinhart passieren, oder Bungert oder diesem widerlichen Pischmikat, der nicht mal richtig deutsch kann? Wenn ich's melde, sagt er, hab ich alle gegen mich. Ich kann's mir einfach nicht leisten. Zuerst die Dienstpistole und jetzt das Fernglas: alles in vierzehn Tagen. Und wenn wir ein Glas kaufen, sagt sie. Frag mal, was so'n Ding kostet, sagt er, und wovon willst du es bezahlen? Das ist noch nie dagewesen: in vierzehn Tagen zwei solche Sachen; die glauben mir doch nicht. Aber wir müssen doch etwas tun, sagt die Frau, und der Zöllner darauf: Ich hab Dienst, ich darf gar nicht hier aufkreuzen.
      Er reibt die Glut von der Zigarette. Er legt die halbe Zigarette auf den Radioapparat und latscht ohne ein weiteres Wort raus und schwingt sich auf sein Stahlroß, Die Frau lüftet die Gardine und starrt ihm nach, wie er davonfährt: steif die Ringstraße runter und dann um die Ecke zum Gehölz. Er öffnet den Kragen. Vor seiner Brust baumelt das leere Etui. Der Riemen schneidet nicht wie sonst in den Nacken. Am Eingang zum Gehölz ist ein Parkplatz, darauf steht eine Erfrischungsbude, die Frau Puhl gehört. Wer hier seine Brause trinkt, bekommt glatt ihre Lebensgeschichte aufgetischt. Jedem Kunden quatscht Frau Puhl die Ohren voll mit ihrer Lebensgeschichte, in der die Kantine einer Marineartillerie-Schule den größten Raum einnimmt. Sie hat einfach nicht alle beisammen.
      Der junge Zöllner fährt auf dem Hauptweg durchs Gehölz, das in der Saison ein richtiger Saustall ist. Wenn die Sommergäste nicht am Strand rumlungern, kommen sie hier herauf, um sich zu lagern und so weiter. Wo die lagern, da kann man gleich die Städtische Müllabfuhr hinschicken. Eine Schar von Gören, der zwei Nonnen mit weißen Hauben voransegeln, kommt ihm entgegen. Die Gören winken ihm zu. Eine Nonne ruft: Das ist ein Zollbeamter, Kinder; er hütet unsere Grenze. Sonst ist im Gehölz nicht viel los heute. Die meisten zieht's zum Strand.
      Hinter dem Gehölz geht's bergab, über eine Brücke, an einem schattigen Fluß entlang in den Wald, wo die Grenze
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