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Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Titel: Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen
Autoren: Siegfried Lenz
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wegwischen.
      Sie werden bald kommen, Senta. Es tut mir so leid, Jan, aber es geht nicht, ich kann nicht. Soll ich denn alles absagen? Du siehst doch, Jan: ich kann nicht. Sie wendet sich ihm zu und sieht ihn schweigend an, und nach einer Weile steht er auf, holt sein Jackett aus der Küche, geht zur Tür, und winkt ihr zu, bevor er die Wohnung verläßt.

    1969

Ein Grenzfall

    Der junge Zöllner schiebt sein Fahrrad die Strandpromenade entlang. Mittags fährt es sich schlecht hier. Wenn er zum Dienst geht, stürmen die Sommergäste die Mittagstische und die neuen, hochgebauten Hotels. In Strandjacken, in Shorts, in Badeanzügen wimmeln sie über die Promenade. Kinder reißen sich immer noch mal los, um ihre blöden Gummitiere zu holen. Strandbälle fliegen zu den muschelbesetzten Sandburgen hinüber. Ein paar Kerle, die ihre quengelnden Gören huckepack schleppen, sehen nicht nach rechts, nicht nach links. Der junge Zöllner bleibt mitunter stehen, um rotgebrannte Frauen oder Mädchen in feuchten Badeanzügen vorbeizulassen. Es ist schon ziemlich happig, was die so von sich geben. Jedenfalls vergeht einem die Lust, ihnen auf den Sonnenbrand zu klatschen, wenn man sie reden hört. Auf ihren dünnen, steilen Absätzen staksen sie in ihre Zimmer, stoßen die Fenster auf und hängen enge Badeanzüge zum Trocknen raus. Keine von ihnen merkt, daß der Strand jünger und freundlicher wirkt, wenn sie abgeschoben sind. Tang, Treibholz und Seegras haben nun mal auf dem Strand mehr zu suchen als Liegestühle, Nivea-Fahnen und all so'n Zeug.
      Der junge Zöllner schiebt sein Fahrrad zu einem Stand, in dem ein schweigsamer Bursche Brause verkauft, kalte Fischklopse, Ansichtskarten und halbverfaultes Obst. Zwei Gören versuchen ein dreckiges Plastikboot gegen eine Eisportion einzutauschen. Der Besitzer des Stands nimmt das Boot, prüft es und schmeißt es in den Sand. Senge, sagt er, Senge ist das einzige, was ihr dafür kriegen könnt. Der Zöllner läßt sich eine Flasche Brause geben. Am Glas kleben noch die Fusseln des Handtuchs. Er trinkt, setzt das Glas ab und bittet um ein Stück Eis, und der Bursche wirft ihm ein Stück Eis ins Glas und glotzt ihn feindselig an, als ob er nun ruiniert sei oder so. Der Zöllner schiebt die Mütze ins Genick. Er wendet das Gesicht ab und trinkt und sieht hinaus auf den Fjord, in dessen Mitte die Grenze verläuft. Draußen dümpeln Segelboote in der Flaute. Die »Albatros«, ein altmodischer Vergnügungsdampfer, den sie für Betriebsausflüge aufgemöbelt haben, kommt mit Besoffenen von den Inseln zurück. Der Zöllner gießt den Rest der Brause ins Glas. Es zischt und kocht um den Eiswürfel, und als er das Glas ansetzt, prickelt es auf der Oberlippe. Aus einem Strandkorb hängen ein paar Mädchenbeine, lange braune Ständer, die wohl jemand vergessen hat. Wie geht das Geschäft, fragt der Zöllner, und der Bursche am Stand sagt: Belämmert, und kämmt sich ausdauernd über seinem Würstchenkessel.
      Der Zöllner bezahlt die Brause und sagt kein Wort zum Abschied. Er schwingt sich aufs Fahrrad. Ein Bus mit vierundzwanzig Krankenschwestern kommt auf ihn zu, die Krankenschwestern winken und johlen und brüllen ihm etwas nach. Er erkennt sein Spiegelbild auf der langsam vorbeirollenden Metall- und Glaswand des Busses. Es stinkt nach Fischen und Benzin. Auf einer Mauer sind Fischkästen gestapelt, sie trocknen in der Sonne. Breitbeinig, mit großen Schweißflecken unter den Achselhöhlen, sitzt eine Frau allein im warmen Sand, glotzt auf den Fjord und ißt einen Korb leer. Unten am Wasser, im feuchten Sand, gräbt ein Angler nach Sandwürmern. Ein Frauenstrumpf hängt an einem trockenen Ast, die ganze Ferse des Strumpfes ist durchgeblutet. Der junge Zöllner fahrt die Standpromenade zuende, steigt ab, schiebt sein Fahrrad gebeugt einen mit ausgewachsenen Buchen bewaldeten Berg hinauf. Das ist der kürzeste Weg. Er könnte auch durch den Fischereihafen, an den Schienen entlang, die Buchenallee hinauf, an der Kiesgrube vorbei zum Zollgebäude. Das Zollgebäude, von miesen Dienstbaracken umgeben, liegt auf der Kuppe des Berges; davor ist ein Fahrradständer für zwölf Fahrräder und eine Fahnenstange. Von den Fenstern im ersten Stock kann man auf den versauten Strand hinuntersehen, auf den dunklen Fjord und die bewaldeten Inseln, wo sich die Betriebsausflügler mit zollfreiem Alkohol vollsaufen. Aus Kiel, aus Hamburg, sogar aus Hannover kommen sie herauf, um sich hier vollzusaufen.
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