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Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Titel: Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)
Autoren: David Vogel
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schreiben können, ohne ein einziges Wort darunter. Überdauert haben auch die fünfzehn Bogen des gesamten Manuskripts seines Wiener Jugendromans, der unter Vogels Papieren verblieb, bis sich sein Schicksal entscheiden würde.

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    Wie seine bisher bekannten Prosawerke weist auch Eine Wiener Romanze Vogel als europäischen Schriftsteller hebräischer Sprache aus. Doch wie gesagt ist dieser Roman, anders als seine übrigen Werke, unfertig geblieben, und man erkennt die schreibende und streichende Schriftstellerhand, die noch zögert, ob sie Inhalte und Szenen stehenlassen soll, die sie aus der Druckversion der bekannten Werke sorgfältig getilgt hat. Es sind dies die Hinweise auf das Haus der alten Eltern, auf den Geburtsort und die Auswanderungsrouten der Juden zu Anfang des Jahrhunderts. Die jiddischen Anklänge in der Sprache der Gäste im Restaurant Achdut, der heisere Tenor, der für geringe Gage bei jüdischen Hochzeiten auftritt, die Übersiedlung von Michael Rost, von Mischa dem Anarchisten und von Jascha aus Odessa in die Hauptstadt der Donaumonarchie – sie alle entstammen der frühen Biografie David Vogels, der zwischen den Städten Podoliens und Galiziens pendelte, erst als Jeschiwa-Schüler, dann als Hebräischlehrer, bis er sich in Wien niederließ. Gelegentlich wird die Schilderung der hell erleuchteten und motorisierteneuropäischen Stadt unterbrochen durch Erinnerungen an die Stadt seiner Geburt mit dem Hund im Pfarrhof, den Soldaten, die das jüdische Bordell frequentieren, der revolutionären Jugend, die gegen das alltägliche Leben der handeltreibenden Eltern aufbegehrt, und den wenigen Auswanderern in ein ödes Land im Nahen Osten. Das Manuskript von Vogels abgelegtem Jugendroman ist wie ein Leitfaden, der den Leser von den hellen Boulevards westeuropäischer Hauptstädte, in die Vogel emigriert war, in die Orte seiner Kindheit im Osten des Kontinents führt, und von den geschliffen ausgearbeiteten Versionen seiner Werke, die er noch zu Lebzeiten publizierte, zu dem Gewirr an Streichungen und Verbesserungen in einer früheren Arbeitsphase.
    Die letzte und wichtigste Lehre des Manuskripts ist diese: Die schreibende Hand bewegt sich über das Blatt Papier wie ein Uhrpendel, wie die Zeit. Vogels abgelegter Jugendroman zeigt seine bisher bekannten Werke gerade deshalb in neuem Licht, weil seine vielen Korrekturen und Streichungen den lebendigen Entstehungsprozess mit seinem Schwanken und Redigieren deutlich macht. Hier sind Spuren des Alltags zu erkennen, einfache, flüchtige Notizen aus dem Leben des jungen David Vogel in Wien und später in Paris, etwa die Namen der Stummfilmschauspieler Henny Porten und Adolphe Menjou, beliebte Melodien wie die Operetten von Jean Gilbert, der ungarische Csárdás und jiddische Hochzeitslieder oder auch Spirituosen wie Slibowitz und Bénédictine. Der Geruch der frischen Druckerschwärze der Abendzeitungen in den Kaffeehäusern wird ebenso geschildert wie die in Reitwege und Fahrbahnen unterteilten Alleen oder die Glühbirnen, die die Wohnungen in ein grelles Licht tauchen, das den Augen der Menschen zu Beginn des Jahrhunderts noch ungewohnt ist. All das sind Eindrücke vom täglichen Leben europäischer Großstädter am Anfangdes 20. Jahrhunderts auf längst vergilbten und ausgefransten Seiten in David Vogels Nachlass in der Akte Nummer 231, verwahrt im Archiv Genazim in Tel Aviv.

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    Mein Dank gilt dem Verband hebräischer Schriftsteller und dem Archiv Genazim, der Archivdirektorin Dvora Stavi und ihrer Mitarbeiterin Hila Zur, die mir Vogels nachgelassene Schriften bei jedem meiner Besuche im Lesesaal zur Verfügung stellten. Mein Lehrer Avidov Lipsker vom Fachbereich Jüdische Literatur an der Bar-Ilan-Universität war von Anfang an ein wichtiger Partner bei der Entdeckung des Manuskripts, wofür ich ihm gar nicht genug danken kann. Merav Kane-Yousefi hat mir große Hilfe bei der Dokumentation des Manuskripts und seiner Ordnung zur Entschlüsselung geleistet. Professor Yitzhak Niborski, Sharon Bar-Kochba und Benny Mer erklärten mir bereitwillig die jiddischen Anklänge im Text und hebräische Ausdrücke, die aus dem Jiddischen übernommen sind, und Dr. Claudia Rosenzweig entzifferte einen deutschen Schlager für mich, dessen Anfangszeilen in Vogels lateinischer-Handschrift eingefügt waren. Eine Wiener Romanze erscheint dank des renommierten Verlags Am Oved, der dieses heikle Projekt mit dankenswerter Sachkunde von Anfang bis Ende begleitet hat. Wichtiger und
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