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Im Zweifel suedwaerts

Im Zweifel suedwaerts

Titel: Im Zweifel suedwaerts
Autoren: Katarina Fischer
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1
    Der Teil mit der Torte
    LUCYS MIXTAPE
    Dean Martin – That’s Amore
    Meine Mutter war eine schöne Braut, wenn auch nicht im herkömmlichen Sinn. Sie trug kein bodenlanges weißes Kleid mit einer Schleppe, die hinter sich eine kleine Schneise der Sauberkeit auf dem staubigen Boden hinterließ (und somit ohnehin nichts weiter war als ein Symbol für die künftigen häuslichen Pflichten). Sie trug keinen Schleier, kein Diadem, keinen Blumenkranz, ihre Wangen glühten nicht vor Aufregung. Stattdessen kräuselten sich, wenn die Sonne, die an diesem Tag im August zur Feier des Tages endlich einmal schien, ihr Gesicht streifte, die Falten um ihre Augen. Ihre Hände, auf denen sie schon zwei kleine Altersflecken mit Make-up hatte kaschieren müssen, fummelten an der breiten Krempe ihres Huts, bis er mehr Schatten warf. Sie hatte ihn passend zu ihrem schlichten blassgrünen Hochzeitskostüm gekauft. Meine Mutter war am Tag ihrer zweiten Hochzeit neunundfünfzig Jahre alt.
    »Warum heiratest du nicht in Weiß?«, fragte ich sie vor der Trauung.
    »In Weiß? Jetzt wirst du aber albern.« Sie schnalzte ungehalten mit der Zunge. »In meinem Alter …«
    »Musst du ja nicht. Grün ist auch schön. Grün ist die Hoffnung …«
    Sie unterbrach mich, indem sie eine wegwerfende Bewegung mit der Hand machte. »Kind, darum geht es nicht. Wenn dir nur noch die Hoffnung bleibt, dann ist alles zu spät, merk dir das. Man sollte immer so hohe Erwartungen wie möglich haben.«
    Ich nickte und dachte: Sie muss es ja wissen. Lebenserfahrung hatte sie schließlich genug. Ehe-Erfahrung auch. Vor fünfunddreißig Jahren hatte sie meinen Vater geheiratet, vor einundzwanzig Jahren war die Scheidung eingereicht worden. Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, »diesen Zirkus« noch einmal mitzumachen. Aber wenn man irgendwann zufällig doch noch einmal den Richtigen trifft, wäre es dann nicht dumm, sich zu verweigern?
    Ich hatte mit den Schultern gezuckt, als sie mich das fragte, obwohl ich eine Antwort parat hatte. Weil man nie wissen kann, deswegen. Aber welchen Sinn hätte dieser Satz zwei Wochen vor der Hochzeit gemacht, wenn die Torte bereits bestellt, der Hotelgarten für die Feier gemietet und die Verwandtschaft aus Amerika so gut wie auf dem Weg zum Flughafen war? Abgesehen davon hatte ich wirklich keine Bedenken, was ihren Zukünftigen betraf. Selbst wenn ich tief in mich hineinhorchte und versuchte, welche zu generieren: Joe war und blieb ein feiner Kerl. Charmant, freundlich, Amerikaner, Archäologe. Ein Robert Redford zum Anfassen, der meine Mutter auf Händen trug. Alles an ihm war ganz wunderbar. Und wenn er sich nicht wie in einem dieser schlechten Thriller, die in den Neunzigern immer auf RTL liefen, innerhalb des ersten Ehejahres als sadistischer Psychopath entpuppte, konnte man wahrscheinlich davon ausgehen, dass meine Mutter das große Los gezogen hatte. Besser spät als nie. Hurra.
    Und dieses Hurra war keineswegs ironisch gemeint. Im Gegenteil, es kam von ganzem Herzen. Ich freute mich wirklich für sie. Obwohl es für mich als einunddreißigjährige Frau schon eine seltsame Situation war, Gast auf der Hochzeit meiner eigenen Mutter zu sein, der ZWEITEN , und selbst noch nicht einen einzigen klitzekleinen Antrag erhalten zu haben. Nicht einmal mit vier auf dem Spielplatz. In einem Alter, in dem so etwas ja gern mal passiert, weil Vierjährige weder Skrupel kennen, noch das Wort Konsequenzen fehlerfrei aussprechen können. Eigentlich die besten Voraussetzungen. Aber ich hatte trotzdem kein Glück gehabt. Was für mich irgendwie typisch war.
    »You’re a bit late, huh? Two – nil.« Barry, Joes schwitzender, halbglatziger Cousin – die linke Hand zur Faust geballt und an der rechten zwei Finger abgespreizt – zeigte den vorläufigen Endstand im nicht existenten Wettstreit zwischen meiner Mutter und mir um die meisten Eheschließungen an. Barry trug einen blauen Anzug, und wenn er lachte, wabbelte sein Körper darunter. Er wabbelte auch, wenn Barry sich über seine glänzende Stirn wischte. Oder ausatmete. Er wabbelte eigentlich immer. Ähnlichkeiten mit dem Bräutigam waren keine vorhanden. Weder Äußerlich, noch verfügte Barry über den Charme des Mannes an Mutters Seite.
    Trotzdem versuchte ich, freundlich zu bleiben. Die neue Verwandtschaft – da musste man nachsichtig sein, sich erst einmal in Ruhe beschnuppern. Wobei ich, was Barry betraf, beschlossen hatte, den Schnupperteil lieber zu überspringen. Aber ein
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