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Eine Vorhaut klagt an

Eine Vorhaut klagt an

Titel: Eine Vorhaut klagt an
Autoren: Shalom Auslander
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Sunniten, Afghanis töteten Pakistanis, die Dschandschawid töteten alle. An der Westküste gab es Hitzewellen, an der Ostküste Überschwemmungen. Es gab Erdbeben, Tsunamis, Hurrikans, Tornados, Schlammlawinen, alte Krankheiten und neue – es gab Syndrome und Himdrome und Plindrome und Schmindrome!
    – Ja, antwortete ich ihm. – Das glaube ich.
    In letzter Zeit war derjenige, dem Er das Leben am schwersten machte, ich. Ich war nervös wegen der anstehenden Geburt, unsicher, wie ich das Kind erziehen sollte, und voller Angst, die Ankunft des Babys in unserem Leben werde irgendwie wieder die Familien mitbringen, zu denen wir so mühevoll eine Distanz aufgebaut hatten, eine Distanz, die meine Ehe und mir das Leben gerettet hatte; ich war weniger sprunghaft, weniger aufbrausend. Ich schrieb. Ich war ein besserer Ehemann und werdender Vater, und ich hatte Angst, dies könne Gottes Pointe sein – die Wände unserer Welt waren nun kräftiger, das Dach fester und sicherer über unseren Köpfen, wir beschließen, einem Kind die Tür zu öffnen, und durch diese Öffnung huschen dann die Ratten und Plagen meiner Vergangenheit herein und graben sich in die Wände und Balken, und bald fällt das Haus zusammen.
    – Ein Kind, hatte ich in der Woche nachdem ich von der Schwangerschaft erfahren hatte, zu Ike gesagt.
    – Und?
    – Sie werden es sehen wollen.
    – Sie sind Ihrem Sohn verantwortlich, sagte er.
    – Na und? Soll ich einfach Nein sagen?
    – Sie sagen einfach Nein.
    – Ich weiß nicht, ob ich so ein großes Arschloch sein kann.
    – Ich glaube schon.
    – Sie sind ein guter Freund.
    Einige Tage später lief ich einem alten Bekannten aus Monsey über den Weg. Ich erzählte ihm, wir erwarteten ein Kind; er hatte unlängst selbst eines bekommen, und ich berichtete ihm von meinen Befürchtungen wegen meiner Familie. Einen Tag später schrieb er mir in einer E-Mail, ich müsse sie akzeptieren. Ich müsse einsehen, dass dieses Kind nicht nur mein Sohn sei, sondern auch ihr Enkel. Dass es Feiertage und Geburtstage geben werde und dass ich akzeptieren müsse, dass ich sie nicht einfach aus meinem Leben verbannen könne.
    – Nein, antwortete ich.
    Und verbannte ihn aus meinem Leben.
    Der Coffeeshop ist heute Morgen herrlich ruhig. Es ist noch sehr früh; die Einzigen, die um diese Zeit wach sind, sind Bauarbeiter, Landschaftsgärtner und Schriftsteller. Vielleicht ist es die Stille, vielleicht auch der doppelte Espresso aus biologischen Kaffeebohnen von Sansibar, aber ich glaube, ich habe endlich herausgefunden, welches Thema alle diese disparaten Geschichten verbindet, an denen ich arbeite: Sie sind im Grunde nur Geschichten über den Wunsch eines Mannes nach …
    Plötzlich sehe ich vier davon – Brüste – auf mich zukommen. Ich habe nur einen Augenblick aufgeschaut, und da sind sie: zwei Frauen, die die Tinker Street überqueren und auf den Coffeeshop zusteuern. Sie sind genau mein Typ, denn sie sind fast nackt und tragen High Heels, jede ein weißes Röhrentop, eine einen kurzen weiten grünen Rock, die andere einen langen weißen, durchsichtig wegen der Sonne, die langsam hinter ihr aufgeht, der verschlagenen himmlischen Komplizin des Spanners. Ich wusste nicht, wer High Heels erfunden hatte, aber ich fragte mich, als sie auf mich zukamen, ob er tot war und welche Strafe Gott ihm zugedacht hatte. Gezwungen, in alle Ewigkeit auf High Heels zu laufen? An einen Pfahl gebunden und von allen wütenden Seelen, die durch seine böse Erfindung vergeudet wurden, mit zehn Zentimeter langen Hacken traktiert? Oder vielleicht – eine Besonderheit der AIB – ist er in einer Welt, in der alle Frauen flache Schuhe tragen? Vielleicht ist er als Schuhabsatz zurückgeschickt worden? Vielleicht ist er ja einer der Absätze dieser beiden? Eine der Frauen ist dünn und blond, die andere dick und schwarz. Das ist mein Gott – das ist El, das ist Schadai, das ist der Hüter der Welt – das ist Er, der kein Risiko eingeht, der die Grundlagen meiner Myriaden von Perversionen abdeckt. Sie schweben über die Straße, wackeln, schwänzeln, schwingen, wiegen sich, tausend unwiderstehliche Bewegungen bei jedem einzelnen unwiderstehlichen Schritt. Man würde sie aus Jerusalem hinausjagen, diese beiden, in Afghanistan würde man sie erschießen, im Iran aufhängen. Der Preis der Freiheit ist endlose Erregung. Hierher nach Woodstock gehören sie auch nicht – das ist eine Kleinstadt, ich lebe hier seit über zehn Jahren, und keine der beiden
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